Das brutale Scheitern einer Profi-Politikerin

New York · In der bittersten Stunde ihrer Karriere hatte Hillary Clinton nicht mehr die Kraft, sich ihren enttäuschten Fans zu stellen, von denen viele Tränen in den Augen hatten. Sie blieb mit ihrem Mann und Tochter Chelsea in einer Hotelsuite in Manhattan und schickte zwei Stunden nach Mitternacht ihren Kampagnen-Manager John Podesta vor, um zu den mit langen Gesichtern wartenden Anhängern im Javits-Kongresszentrum zu sprechen. Es war der frustrierende Schlussstrich unter eine abgesagte Siegesfeier. Was Podesta den Anhängern nicht sagte, war: Clinton würde nur Minuten später Donald Trump anrufen und ihm gratulieren.

Am Mittag, nach nur wenigen Stunden Schlaf, trat gestern dann die geschlagene Favoritin mit ihrer Familie vor die Kameras - in einem Hotelsaal voll mit geschockten Mitarbeiterin. "Das ist so brutal", klagte eine Helferin. Nicht nur, dass Clinton spektakulär gescheitert war. Die gesamte demokratische Partei liegt - vom Trump-Phänomen zerschlagen - am Boden. Allen voran Clinton, die Trump seinen Worten zufolge gerne im Gefängnis sehen würde - und nun die schwierigste Rede ihres Lebens halten musste. "Ich habe Donald Trump angeboten, gemeinsam für dieses Land zu arbeiten," versuchte sie sichtbar bewegt einen Brückenschlag. Und: "Trump wird unser Präsident sein. Wir schulden ihm eine Chance, unser Land zu führen." Es gelte aber auch, die Werte der Nation und die Rechte aller Bürger zu verteidigen. Dann widmete sie sich, mit belegter Stimme, ihrer Familie und dann Michelle und Barack Obama : "Wir schulden euch enorme Dankbarkeit." Und sie sagte, an ihre Mitarbeiter gewandt: "Es tut mir leid."

Clinton hatte - auch für die Frauen in den USA - mit ihrer Kandidatur die "ultimative Glasdecke" durchbrechen und als erste Präsidentin Geschichte schreiben wollen. Und dabei vor allem von Frauen profitieren wollen, bei denen sie einen massiven Wahl-Vorteil gegenüber Trump gesehen hatte. Am Ende musste sie erkennen, was sich schon im Wahlkampf durch halbleere Hallen angedeutet hatte: Die Begeisterung für sie, die Profi-Politikerin mit 30-jähriger Erfahrung und einer Tendenz zur Geheimniskrämerei am Rande der Gesetzlichkeit, blieb weit hinter dem Engagement zurück, das die Menschen 2008 und 2012 noch für Obama gezeigt hatten. Ein nur schwacher Trost für Clinton, dass sie landesweit mehr Stimmen als Trump erhielt. Denn die alles entscheidenden Wahlmänner der Bundesstaaten fehlten ihr.

Seit 2001, als ihre Ära als First Lady endete, hatte Clinton ihr Leben auf das Ziel ausgerichtet, selbst am Schreibtisch des Oval Office zu sitzen. Zuerst war sie Senatorin für New York , dann, 2008, Obamas Gegenkandidatin und Außenministerin. Stationen, die eigentlich ein perfektes Sprungbrett darstellten. Clinton wurde am Ende aber auch ein Opfer jener Stolpersteine, die sie sich selbst in den Weg gelegt hatte: Die Hälfte von Trumps Anhängern als "Bedauernswerte" abzukanzeln. Oder die neuen Ermittlungen zur E-Mail-Affäre. Es war wohl der Druck Obamas, der das FBI dann dazu zwang, 48 Stunden vor der Wahl Clinton endgültig freizusprechen. Doch selbst die massive Unterstützung der Obamas oder Stars wie Bruce Springsteen halfen ihr nicht mehr. "Es schmerzt, und es wird eine lange Zeit weh tun," sagte Clinton gestern. Niemand zweifelte diesen Satz an.

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