Die Erde ist wieder eine Scheibe

Das Land der Freien wird wohl bald eine Mauer entlang der mexikanischen Grenze bauen; das Land der Gleichen wird die minimale Gesundheitsversicherung für Arme wieder streichen und die Steuern für die Superreichen senken. Von der Hippie-Losung "Make love, not war" bleibt nur Sexismus, jetzt auch im Weißen Haus. Amerika, Traumland der Menschheit, wird zum Albtraumland. Rassismus, Homophobie, Gewalt im Innern und nach außen inklusive.

Die konservativ-nationale Gegenrevolution, die weltweit rollt, hat mit Donald Trumps Wahlsieg den Kern erreicht und erobert. Putin und die AfD jubeln. Die aufgeklärte Schicht in Amerika und anderswo muss sich ernsthaft fragen, warum sie die Ungebildeten so wenig erreicht und ihnen offensichtlich so wenig Hoffnung geben kann. Was haben die Armen von ihrer Liberalität? Was die Menschen auf dem Land und in den Kleinstädten von Globalisierung und Multikulti? Auch in Deutschland, wo sich die Populisten regen, aber noch nicht durchgesetzt haben, müssen die weltoffenen Kräfte sich diese Fragen stellen und sie beantworten, ehe auch sie hier verdrängt werden.

Trump vertritt, wenn auch im Rahmen einer Demokratie, die gleichen Rezepte wie Putin, wie Erdogan, wie all die neuen Potentaten dieser Welt. Er verspricht nationale Abschottung, auch der eigenen Märkte, er verspricht nationale Stärke, er verspricht, dass alles wieder so wird, wie es nicht einmal früher war. America first, wir gegen den Rest der Welt. Er leugnet den menschengemachten Klimawandel und kündigt die internationale Zusammenarbeit auf diesem wie auf anderen Feldern auf. Die Bewegung, die er nun weltweit anführt, knüpft in einigen ihrer Aussagen fast direkt an das wissenschaftsfeindliche Mittelalter an. Als wäre die Erde eine Scheibe.

Nur ist sie das eben nicht, und das ist das Problem. Die Volkswirtschaften und die Menschen sind global vernetzt, sie haben vielfältige überschneidende Interessen. Die Scheiben berühren sich in der modernen Zeit, und wenn ihre Regenten und Völker nicht kooperieren wollen, wird es zu Eruptionen der Gewalt kommen. Trump, Putin und Erdogan werden nicht lange Freunde bleiben. Was dann? Dass der neu gewählte Präsident, der zugleich auch Anführer des westlichen Verteidigungsbündnisses ist, aus einer Laune heraus einen Atomkrieg zünden könnte, das ist nun die große Angst weltweit, und sie ist absolut berechtigt.

Aber auch diese dunkle Zeit bietet eine Chance. Das Autoritäre wird antiautoritären Widerstand hervorrufen, das Abgeschottete wird neue Subkulturen der Offenheit schaffen. So leicht lässt sich die Idee einer offenen Welt nun auch nicht zerstören, so schnell verschwinden Mitmenschlichkeit und Empathie nicht. Auch vier Jahre Trump werden enden.

In Deutschland und Europa rollt die Gegenrevolution ebenfalls, aber noch hat sie nirgendwo eine Mehrheit. Das Ereignis in Übersee ist eine dringende Mahnung an die verantwortlichen Politiker, bei der Regelung der europäischen Angelegenheiten, von der Flüchtlingsfrage bis zur Stabilität des Euro, vom Klimaschutz bis zur wirtschaftlichen Leistungskraft, ab sofort jedes taktische Spielchen zu unterlassen, sich jede Unentschlossenheit zu verkneifen und maximale Gemeinsamkeit zu suchen.

Der Brexit und die Krim-Annexion haben bereits eine Ahnung davon gegeben, welche Zerstörungskraft der wieder erstarkende Nationalismus gerade auf unserem Kontinent hat. Wenn es hier nicht mit-, sondern gegeneinander geht, ist jeder Konflikt sofort ganz nah. Da muss man nicht erst an zwei Weltkriege erinnern oder an den Balkan. Der Vielvölker-Kontinent Europa brennt schneller als Amerika.

Jeder Machtwechsel in Washington hat eine weltpolitische Dimension. Dieser erst recht. Der Wahlsieg Donald Trumps bedeutet für Europa, dass es seine Sicherheit weit mehr als bisher selbst in die Hand nehmen muss. Es bedeutet, mehr für Rüstung auszugeben und militärisch besser zu kooperieren. Europa muss sich emanzipieren, auch globalpolitisch, denn auf die USA kann sich nun niemand mehr verlassen. Die Zeiten sind jetzt wirklich ernst.

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