Nach der Schlacht steht Amerika vor offenen Fragen

Washington · Die Wahl ist vorbei, die Baustellen bleiben. Nach dem giftigsten Wahlkampf in der jüngeren Geschichte der USA wird das Land auf absehbare Zeit mit sich selbst beschäftigt sein. Zugleich muss es die Frage beantworten, welche Rolle es künftig in der Welt spielen will.

Um mit einer Personalie zu beginnen: Schon seit März wartet Merrick Garland darauf, dass ihn der Senat endlich vorlädt, um das fällige Bestätigungsverfahren zu beginnen. Vom Präsidenten Barack Obama nominiert, soll er den verstorbenen Antonin Scalia am Obersten Gerichtshof ersetzen. Scalia war der Konservativste in der Neunerrunde, Garland ist eher progressiv. Die Republikaner wollen ihn verhindern.

Wer ab dem 20. Januar 2017 im Oval Office regiert, muss ernsthaft auf die Ängste der Globalisierungsverlierer eingehen. Unter dem Strich haben Freihandelsverträge wie Nafta, das Abkommen mit Kanada und Mexiko, den USA zwar mehr genutzt als geschadet. Das gilt jedoch nicht für den "Rostgürtel" der alten Industrie. Die Debatte um Pro und Contra schrankenlosen Handels dürfte an Intensität nichts verlieren. Wirtschaftlich ist das Land zwar längst heraus aus der Talsohle. Musste Obama zu Beginn seiner Amtszeit ein 787-Milliarden-Dollar-Konjunkturpaket schnüren, um die Folgen der schlimmsten Krise seit den 1930er Jahren abzufedern, bleibt seinem Nachfolger die Feuerwehrrolle erspart. Die Arbeitslosenquote von damals zehn Prozent ist auf 4,9 Prozent gefallen. Aber die Infrastruktur ist vielerorts in so marodem Zustand, dass Straßen, Brücken, Stromleitungen, Flughäfen, Breitbandnetze dringend repariert beziehungsweise modernisiert werden müssen. Finanziell indes kann sich der amerikanische Bund große Sprünge kaum leisten. Die Staatsverschuldung nähert sich der Marke von 20 Billionen Dollar.

Als mit Obama der erste schwarze Präsident sein Amt antrat, verband sich damit die Hoffnung, dass die alten Dämonen - das Erbe von Sklaverei und Rassentrennung - endlich verschwinden und die Farbe der Haut keine Rolle mehr spielt. Erfüllt hat sie sich nicht. Tödliche Polizeieinsätze gegen schwarze Amerikaner sind inzwischen fast an der Tagesordnung. Das Justizsystem, das Schwarze etwa bei der Bestrafung von Drogendelikten eklatant benachteiligt, muss dringend reformiert werden.

Die Gesundheitsreform steht zwar für eine historische Richtungsänderung. Von einst 50 Millionen Nichtversicherten sind heute mehr als 20 Millionen Menschen abgesichert. Doch da die Beiträge bald um durchschnittlich 22 Prozent steigen, wächst der Unmut bei vielen, die vor der Reform versichert waren.

Weltpolitisch stellt sich die Frage, wer die Nummer 45 im Weißen Haus zuerst testen wird. Wird es Präsident Wladimir Putin sein, unter dem sich das russisch-amerikanische Verhältnis zuletzt auf Eisschranktemperatur abgekühlt hat? Wird Peking die Einarbeitungsphase des neuen Kabinetts nutzen, um Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer zu untermauern? Im Irak und in Syrien haben Militäroffensiven den IS zwar geschwächt, doch alle Bemühungen, den syrischen Bürgerkrieg zu beenden, sind bislang erfolglos geblieben. Es wird, mit den USA mindestens in der Ko-Dirigentenrolle neben Russland, eines diplomatischen Kraftakts bedürfen, um einen Interessenausgleich in dem Bürgerkriegsland zu finden.

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