Bremsklotz Kernenergie oder: Die Brücke ins Nichts

Saarbrücken. Während nach heftigen Kontroversen heute weltweit ein breiter politischer Konsens für den raschen Ausbau erneuerbarer Energien besteht, droht der Streit über den besten Weg in ein solches Solarzeitalter hitziger zu werden. In Deutschland schien die Frage insoweit entschärft, dass die Kernenergie kein Bestandteil dieses Weges mehr sein sollte

Saarbrücken. Während nach heftigen Kontroversen heute weltweit ein breiter politischer Konsens für den raschen Ausbau erneuerbarer Energien besteht, droht der Streit über den besten Weg in ein solches Solarzeitalter hitziger zu werden. In Deutschland schien die Frage insoweit entschärft, dass die Kernenergie kein Bestandteil dieses Weges mehr sein sollte. Mit der schwarz-gelben Bundesregierung gibt es nun eine Neuorientierung: Der Koalitionsvertrag spricht von einer "Brückentechnologie", die so lange benötigt werde, bis sie durch erneuerbare Energien "verlässlich ersetzt werden" kann.Die tiefen Gräben, die das Ausstiegsgesetz des Jahres 2000 sorgsam zugeschüttet hatte, werden nun wohl wieder ausgehoben. Die nüchterne Sachdiskussion darüber, ob diese "Brücke" tragfähig ist und in die richtige Richtung führt, droht dabei ins Hintertreffen zu geraten. Brücken können auch ins Nichts führen, und dieser Eindruck drängt sich bei der Entscheidung zur Laufzeitverlängerung bestehender Atomkraftwerke (AKW) auf.Die grundsätzliche Fragestellung nämlich, ob ihr Betrieb als Brücke in die regenerative Energiezukunft taugt, beantwortet seit einiger Zeit der Markt selbst: Seit 2008 an der Strombörse negative Börsenpreise zugelassen sind, mehren sich die Stunden, in denen AKW-Betreiber Geld mitbringen müssen, um ihren Strom absetzen zu können. Mit dem weiteren Ausbau erneuerbarer Energien wird die Zahl dieser Zeitperioden rasch steigen. Es zeigt sich ein unvermeidlicher Systemkonflikt zwischen Kernkraft und erneuerbaren Energien. Betriebswirtschaftlich betrachtet liegt es daher keinesfalls im Interesse der Atomkraftwerks-Betreiber, Energiequellen wie Wind oder Sonne stärker anzuzapfen, und durch eine Laufzeitverlängerung wird ihr Widerstand gegen diese Zukunftstechnologien wohl wieder zunehmen. Der Ausstieg vom Ausstieg aus der Kernenergie hat jedoch auch eine wichtige wettbewerbspolitische Dimension. Der Präsident des Bundeskartellamtes warnt bereits vor einer Zementierung der marktbeherrschenden Stellungen im Strom-Erzeugungsmarkt durch eine Laufzeitverlängerung. Er sieht seine vielfältigen Bemühungen, die vier großen Energiekonzerne zurückzustutzen, unmittelbar gefährdet. Dabei schlägt der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag durchaus solide wettbewerbspolitische Eckpfeiler für die Energiemärkte ein: etwa die Zusammenführung der Übertragungsnetze in eine unabhängige Netzgesellschaft, ein einheitliches Marktgebiet für den Regelenergiemarkt, eine neue Stelle für Markttransparenz, die Beseitigung grenzüberschreitender Kapazitäts-Engpässe und als ultima ratio sogar die Aufnahme eines Entflechtungsinstruments in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Mit der geplanten Laufzeitverlängerung wird dieser unterstützenswerte Kurs leider verlassen. Dies drosselt ohne jede Not das Wettbewerbstempo für die immer noch im Entwicklungsstadium befindlichen Energiemärkte. Letztlich ist es insbesondere dieses ordnungspolitische Einknicken angesichts der erwarteten milliardenschweren Mehreinnahmen, aber wohl auch ideologisches Nachtreten, das dem Koalitionsbeschluss zur Kernenergie den Ruch rückwärtsgewandter Politik verleiht. Als Folge davon geht Investitions-Dynamik verloren, und den großen Energiekonzernen wird der Rücken gestärkt. Professor Uwe Leprich ist wissenschaftlicher Leiter des Saarbrücker Instituts für Zukunftsenergiesysteme (Izes) und lehrt Volkswirtschaft an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW).

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