Von der Hoffnung getragen

Meinung · In gewöhnlichen Zeiten ließe sich das erste Jahr nach der Wahl Barack Obamas zum 44. Präsidenten der USA als völlig normal abbuchen. Mit dem Unterschied, dass er der erste Afro-Amerikaner im Weißen Haus ist. Dass Obama daraus kein Dauerthema machte, rassistische Untertöne seiner Kritiker am rechten Rand ignorierte und regierte wie seine weißen Vorgänger, beweist Fingerspitzengefühl

In gewöhnlichen Zeiten ließe sich das erste Jahr nach der Wahl Barack Obamas zum 44. Präsidenten der USA als völlig normal abbuchen. Mit dem Unterschied, dass er der erste Afro-Amerikaner im Weißen Haus ist. Dass Obama daraus kein Dauerthema machte, rassistische Untertöne seiner Kritiker am rechten Rand ignorierte und regierte wie seine weißen Vorgänger, beweist Fingerspitzengefühl.Zugleich begann der Turbo-Reformer eine Nation wieder aufzurichten, deren Zuversicht am Nullpunkt angelangt war. Obama übernahm von George W. Bush zwei Kriege, ein gewaltiges Haushalts-Defizit und eine Volkswirtschaft am Abgrund. Ohne sein entschlossenes Eingreifen in der Banken-Krise, ohne sein 800-Milliarden-Konjunkturprogramm dürften die USA heute gewiss nicht die Rückkehr eines ordentlichen Wirtschaftswachstums erwarten. Statt wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren, schob der Präsident mehrere Großprojekte gleichzeitig an. Vorneweg die Gesundheitsreform - allein ihr Gelingen könnte ihm schon einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern. Parallel begann er die Reform der Finanzmarkt-Aufsicht, nahm Kurs auf eine neue Klimaschutz- und Energiepolitik. Außenpolitisch polierte der Weltbürger im Weißen Haus das Image der USA wieder auf. Mit seiner Rede an die Moslems in Kairo, der Benennung eines Nahost-Sondervermittlers und dem Versprechen, Guantanamo zu schließen, vollzog der neue Präsident die Abkehr vom chronischen Säbelrasseln seines Vorgängers. Auch wenn Obama weder für Afghanistan noch für den Iran eine überzeugende Strategie gefunden hat - in seinem ersten Jahr machte er doch die Eröffnungszüge auf einem dreidimensionalen Schachbrett, dessen Koordinaten durch unerledigte Konflikte, die Finanzkrise und die Probleme am Arbeitsmarkt bestimmt werden. Ob er dabei immer einen Zug vorausdenkt wie in seinem faszinierenden Wahlkampf, wird sich in den kommenden zwölf Monaten zeigen: Dann muss Obama Ergebnisse vorweisen können. Bis dahin geben ihm seine Landsleute noch Zeit. Ein Jahr nach seiner Wahl sehen die Amerikaner ihren Hoffnungs-Präsidenten fast unverändert positiv. Sechs von zehn Bürgern meinen, nach Ablauf seiner ersten Amtszeit werde das Land besser dastehen. Das ist erstaunlich angesichts steigender Arbeitslosigkeit und des eskalierenden Afghanistan-Konflikts. Dennoch: Auch die Obama-Euphorie weicht allmählich realistischeren Erwartungen. Reformen brauchen eben Zeit in einem System, dessen Schöpfer den Weg zu Veränderungen bewusst schwierig gestaltet haben. So gesehen hat Obama einen soliden Start hingelegt - in außergewöhnlichen Zeiten.

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