Alles was Recht ist

Als mutige DDR-Bürger vor 25 Jahren auf die Straße gingen, um das Politbüro daran zu erinnern, wer das Volk ist, war die Sache klar: Die DDR galt als linke Diktatur , in der allgemein gültige Rechtsgrundsätze keine Anwendung fanden.

Tatsächlich war man im Osten Deutschlands nur auf hoher See "in Gottes Hand", nicht aber vor Gericht. Dort waltete eine andere oberste Instanz: der Sozialismus in seinem Lauf, dessen Verfechter das Recht nach eigenem Gusto interpretierten.

Just zum Jubiläum des Mauerfalls, der für die Masse der Bevölkerung eine Befreiung von Drangsal und Unterdrückung darstellte, entflammt abermals eine Diskussion um die Frage, ob die DDR ein "Unrechtsstaat" war. Eine alte Platte, die gern neu aufgelegt wird - und die von gestern ist wie Vinyl. Die Beschwichtigungs-Melodie jener, die wie das SED-Gewächs Gregor Gysi formaljuristisch argumentieren und die geübte Rechtsprechung relativieren, ist genauso bekannt wie jene, die dem gescheiterten Arbeiter- und Bauernstaat das Böse schlechthin unterstellen.

Alles was Recht ist, aber die Betrachtung des Phänomens DDR müsste selbst aus unterschiedlichen Perspektiven eine gemeinsame Erkenntnis zutage fördern: Die Deutsche Demokratische Republik war nicht das, was sie vorgab. Sie war weder demokratisch noch eine Republik nach klassischem Verständnis. Überhaupt war die Rhetorik, mit der die Mächtigen in Ostberlin ihr System beschrieben, ein einziger Euphemismus. In diesem Kontext ist der Konflikt um Begriffe besser zu verstehen. Da es auch in der DDR klar formulierte Gesetze gab, war der Staat per definitionem kein Unrechtsstaat. Denn die geltenden Gesetze wurden ja angewandt. Allerdings ist diese Betrachtung der Wirklichkeit so lächerlich wie die Behauptung, nachts sei es kälter als draußen. Gerade die Juristen in der DDR waren besonders beflissene Diener eines Systems, das die Menschen nur im Zivilrecht einigermaßen fair behandelte. Im politischen Strafrecht dagegen herrschte oft Willkür und Maßlosigkeit - wie in jeder Diktatur .

Die aktuelle Debatte ist vor allem deshalb interessant, weil sie sehr deutlich zeigt, dass die Nostalgiker der DDR sich auch nach einem Vierteljahrhundert nicht von dem politischen Biotop lösen können, das sie als ihre Heimat empfanden. Advokat Gysi, aber auch der sonderbare Ex-Innenminister Peter Michael Diestel wollen mit ihren verbalen Verrenkungen den Phantomschmerz dieser Menschen lindern. Menschen, die an eine Idee glaubten, die von den Trümmern der einstürzenden Mauer 1989 begraben wurde. Jede Enttäuschung schmerzt. Besonders bitter aber ist der Verlust der Realität, weil die Gegenwart über die Befindlichkeiten der Vergangenheit einfach hinweggeht.

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