Wie Jimmy Carter zum Orakel von Georgia wurde

Washington · Der zähe, geduldige Vermittler Jimmy Carter - sogar ein Theaterstück hat man ihm inzwischen gewidmet. "Camp David", eine Erinnerung an das 13-Tage-Drama am Landsitz des US-Präsidenten, das mit einem Friedensschluss für die Geschichtsbücher endete, dem Abkommen zwischen Ägypten und Israel.

In der schönsten Szene balanciert First Lady Rosalynn ein Tablett mit Keksen und Tee auf die Terrasse, wo die Protagonisten sitzen, und fragt in gespielter Ahnungslosigkeit: "Na, wie geht's voran mit dem Friedensstiften?"

Es ging überhaupt nicht voran. Anwar el Sadat und Menachem Begin hatten sich gerade so heftig gestritten, dass der Abbruch der Gespräche drohte. Und Carter begriff, dass er selbst einen Plan zu Papier bringen musste, statt Sadat und Begin machen zu lassen. Barack Obama , gab Carter unlängst zu verstehen, hätte die Lehren von Camp David beherzigen und sich selbst einschalten sollen. Dann wäre die Vermittlung seines Außenministers zwischen Israelis und Palästinensern vielleicht nicht gescheitert.

Carter wird heute 90, aber von Altersmüdigkeit ist nichts zu spüren. Alle paar Wochen setzt er sich ins Auditorium seiner Stiftung in Atlanta und genießt es, wenn die Leute nach seinen Ratschlägen fragen, als wäre er das Orakel von Georgia. "Ja, wir müssen den Islamischen Staat angreifen, es geht um eine Bedrohung für die gesamte Region", sagte er, nachdem Obama den IS-Rebellen den Krieg erklärt hatte. Nur mache sich bitte keiner Illusionen über die syrische Opposition: "Die einzigen gemäßigten Kämpfer, die wir finden können, sind in der Türkei, in London oder Paris, nicht aber auf dem Schlachtfeld."

Carter, 2002 geehrt mit dem Friedensnobelpreis, gilt vielen als "bester Ex-Präsident, den es je gab". Seine Stiftung hat die durch Parasiten verursachte Flussblindheit in Afrika zurückgedrängt und zur Verbesserung der Hygiene fast drei Millionen Toiletten aufgestellt. Seit der Gründung seines Carter Centers 1982 ließ er in mehr als 80 Ländern Wahlen beobachten. Manchmal sorgt er schon dann für Aufsehen, wenn er ankündigt, es in diesem oder jenem Fall nicht zu tun.

An seiner Präsidentschaft dagegen scheiden sich die Geister. Als Carter 1977 ins Oval Office einzog, war er der Idealtyp des Seiteneinsteigers, wie ihn Amerikaner so glühend verehren. Er fuhr auf U-Booten der Kriegsmarine und baute Erdnüsse an, ehe er sich mit 38 Jahren in Georgia erstmals um ein politisches Amt bemühte. Im Weißen Haus angekommen, versprach er nach den Skandalen à la Watergate bedingungslose Ehrlichkeit. Während der vier Carter-Jahre zwang der Ölpreisanstieg dann zu unpopulären Spar-Appellen. Sowjetische Truppen marschierten in Afghanistan ein. US-Diplomaten saßen in Teheran 444 Tage in Geiselhaft, und die Aktion zu ihrer Befreiung endete in einem Fiasko.

Den Republikanern gilt Carter deshalb bis heute als Inbegriff amerikanischer Schwäche. Aber auch prominente Demokraten, allen voran Obama, meiden den Parteifreund, als wäre er ein peinlicher Verwandter. Der wiederum tut so, als träfe ihn das alles nicht. Die 33 Jahre nach dem Abschied aus dem Weißen Haus, beharrte er neulich, seien die besten seines Lebens gewesen.

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