An der Spitze der Nato zieht ein neuer Ton ein

Brüssel · Der neue Nato-Generalsekretär übernimmt einen Schreibtisch voller Probleme. "Das ist ein schwieriger Job in schwieriger Zeit", sagte Jens Stoltenberg gestern bei seinem Amtsantritt in Brüssel . Der frühere norwegische Ministerpräsident folgt auf den umstrittenen Dänen Anders Fogh Rasmussen ; dessen Dienstzeit war um ein Jahr verlängert worden, damit er noch den wichtigen Nato-Gipfel in Wales betreuen konnte.

Die dortigen Beschlüsse muss nun der neue Mann umsetzen.

Stoltenberg hatte Norwegen insgesamt zehn Jahre lang regiert. Bei den Wahlen im vorigen Herbst musste der Sozialdemokrat das Ministerpräsidenten-Amt an seine konservative Herausforderin Erna Solberg abgeben. Der 55-jährige hatte sich vor allem durch sein Krisenmanagement nach den Anschlägen in Oslo sowie auf der Insel Utöya im Juli 2012 großes Ansehen erworben. Damals kamen 69 Menschen ums Leben. Doch der Regierungschef appellierte an seine Landsleute: "Beantwortet den Hass mit Liebe." Eine rote Rose wurde zum Symbol bei den Demonstrationen im ganzen Land.

Die Berufung des gebürtigen Osloers, dessen Familie ursprünglich aus Norddeutschland stammt und im 17. Jahrhundert nach Norwegen auswanderte, kommt für die Nato zu einem historischen Zeitpunkt. In der Ukraine-Krise hat das Bündnis Russland wieder als Gegner ausgemacht. Die Rufe der baltischen Staaten nach mehr Schutz vor einer neuen aggressiven Linie Moskaus leiteten einen Kurswechsel ein. Stoltenberg, dessen Land selbst an Russland grenzt, muss die Aufrüstung im Osten ins Werk setzen. Zugleich wird er den Abzug aus Afghanistan beenden und, nach der erfolgten Zustimmung aus Kabul, auch die anschließende Trainingsmission installieren müssen.

Sich nicht größer machen als die anderen, bescheiden bleiben - das gilt als Mantra der norwegischen Politik. Stoltenberg hat das von Kindesbeinen an gelernt. Mit Begriffen wie Nato oder OSZE , der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, ist er groß geworden. Sein Vater Thorvald war Außenminister und Friedensschlichter auf dem Balkan. Seine Mutter und seine Frau - alle in der Familie sind erfahrene Diplomaten. Und irgendwie war immer klar, was Jens einmal machen wird. Dass er nun ausgerechnet als neuer Nato-Chef in Brüssel amtiert, lässt sich aus seiner Biografie dennoch nicht herauslesen: Als Student warf Stoltenberg noch aus Protest gegen den Vietnamkrieg die Scheiben der amerikanischen Botschaft in Oslo ein. Seit gestern leitet der zweifache Vater das größte Militärbündnis der Welt.

Sein als aufbrausend geltender Vorgänger strebt derweil eilig neuen Ufern entgegen: Bereits am Tag nach dem Ende seiner Amtszeit verkündete Rasmussen gestern, er werde die Erfahrungen aus der Zeit als Nato-Generalsekretär für eine Beraterkarriere nutzen. Seine Firma ist auf Themen wie internationale Sicherheit und transatlantische Beziehungen spezialisiert.

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