Leitartikel Frage nach Privilegien ist typische Prinzipiendebatte

Wer wieder das darf, was man normales Leben nennt, ist nicht privilegiert. Das ist im Zusammenhang mit der Debatte um Lockerungen für Geimpfte das völlig falsche Wort. Es geht nicht um Privilegien, sondern um verbriefte Rechte, die der Staat den Menschen im Zuge der Pandemie genommen hat.

 Werner Kolhoff Foto: krohnfoto.de

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Foto: SZ/Lorenz, Robby

Und die er ihnen zurückgeben muss, sobald es nur geht.

Es wird darüber gerade mit Lust diskutiert, wie immer, wenn es ums Prinzip geht. Und es wird von dem einen oder anderen sicher auch mit Lust geklagt werden. Doch ist das Thema nüchtern betrachtet von geringerer praktischer Bedeutung, als es scheint. Natürlich wird manch einer jetzt austesten, ob er sein Restaurant oder seinen Laden nicht für Senioren mit Impfausweis schon trotz Lockdown öffnen darf. Aber das werden Ausnahmefälle bleiben – keiner will es sich ja für die Zukunft mit den anderen Gästen verderben. Auch gibt es noch keine Ü70-Diskos oder Ü70-Bundesliga. Außerdem hat der Staat gute Argumente für die Fortsetzung von allgemeinen Öffnungsverboten, so lange die Infektionszahl so hoch und die Zahl der Geimpften so niedrig ist. Zumal nicht klar ist, in welchem Ausmaß jemand noch andere anstecken kann, obwohl das Vakzin ihn selbst schon vor der Krankheit schützt. Für die nächsten zwei, drei Monate ändern die Impfungen also nichts an der Pandemielage – und danach ist die Lage ein andere.

Wenn der Lockdown wirkt, werden nämlich ohnehin immer mehr Einschränkungen zurückgenommen werden können. Und ebenso, wenn die Zahl der schwer Erkrankten aufgrund der Impfungen immer weiter sinkt. Beide Maßnahmen ergänzen sich. Die Belegung der Intensivbetten wird die Infektionshäufigkeit als Entscheidungskriterium ablösen. Denn darum ging es die ganze Zeit: Die Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern, möglichste viele Schwerstkranke und Tote zu vermeiden. Wenn das erreicht ist, sehr wahrscheinlich im Sommer, wird es keinen Grund für drastische Maßnahmen mehr geben. Für alle nicht, Geimpfte wie Nichtgeimpfte. Nur die Abstandsregeln und die Maskenpflicht könnten noch länger bleiben, etwa, um die Verbreitung neuer Virusvarianten zu bremsen. Und wenn im Herbst schließlich durch die Impfungen Herdenimmunität erreicht worden sein sollte, ist es sowieso weitgehend vorbei mit Corona.

Impfverweigerer könnten diesen Ablauf noch verhindern, jedenfalls wenn es zu viele werden. Doch gibt es eine Macht des Faktischen: Viele Veranstalter, Reiseunternehmen, Wirte und Fitnessstudio-Betreiber werden ihren Kunden in diesem Fall zusätzliche Sicherheit geben wollen, in dem sie sich die Impfausweise zeigen lassen. Gesetzlich ist das erlaubt, und das sollte auch so bleiben. Mit Diskriminierung hat das nämlich nichts zu tun. Jedem muss es frei stehen, sich nicht impfen zu lassen. Aber jeder muss auch die Freiheit haben, sich vor Nichtgeimpften schützen zu können – oder sie in sensiblen Bereichen nicht zu beschäftigen.

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