Ethikrat-Chefin Alena Buyx hofft auf durchschlagende Wirkung der Corona-Impfungen „Dann würden schrittweise Maßnahmen für alle aufgehoben“

Berlin · Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats hofft darauf, dass die Corona-Impfungen bald die Ausbreitung des Virus merklich bremsen können.

 Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, hält Lockerungen der Corona-Regeln derzeit allenfalls bei geimpften Heimbewohnern für möglich.

Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, hält Lockerungen der Corona-Regeln derzeit allenfalls bei geimpften Heimbewohnern für möglich.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Die tiefgreifenden Einschränkungen des sozialen und wirtschaftlichen Lebens sind nur so lange gerechtfertigt, wie die Versorgung schwer erkrankter Covid-19-Patienten das Gesundheitssystem akut zu überlasten drohen, sagt die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx.

Der Corona-Frust in der Bevölkerung wächst, ebenso die Sehnsucht nach mehr Freiheiten. Unter welchen Bedingungen halten Sie Sonderregelungen für Geimpfte für zulässig?

BUYX Die wesentliche Bedingung ist zuallererst, dass wir bessere und sicherere Erkenntnisse darüber haben, inwieweit geimpfte Menschen noch ansteckend sind. Zum Zweiten sollte geprüft werden, ob staatliche Freiheitsbeschränkungen nicht schon für alle Menschen aufgehoben werden können. Das kann der Fall sein, wenn das Impfen schon weit fortgeschritten ist, wie wir es in einigen Ländern bereits sehen. Als Ethikrat sagen wir: Wenn die gravierenden Folgen wie hohe Sterblichkeit, langfristige gesundheitliche Beeinträchtigung vieler Menschen oder der drohende Kollaps des Gesundheitssystems eingefangen sind, dann müssten die Maßnahmen für alle aufgehoben werden. Denn diese schwerwiegenden Folgen sind ja der Grund, der die harten Einschnitte rechtfertigt. 

Könnten sich die Sonderregelungen in der Praxis also erübrigen, weil die Pandemie bis dahin im Griff ist?

BUYX Das wäre die Hoffnung. Wir sagen auf jeden Fall, dass gegenwärtig eine individuelle Lockerung der staatlichen Freiheitseinschränkungen nicht in Betracht kommt. In unserer Analyse haben wir festgestellt, dass ein gesicherter Wissensstand wahrscheinlich noch so lange dauern wird, dass wir gleichzeitig schon Effekte des Impfens sehen werden. Dann würden schrittweise Maßnahmen für alle aufgehoben. Eine vorherige individuelle Rücknahme von Freiheitsbeschränkungen nur für geimpfte Menschen ließe sich allenfalls dann rechtfertigen, wenn hinreichend gesichert wäre, dass sie das Virus nicht mehr weiterverbreiten können. Und da kommt noch ein Aber: Dann müsste gleichzeitig geprüft werden und es müssten Vorkehrungen getroffen werden, dass es nicht zu Ungerechtigkeiten und nicht zu negativen Folgen für die Akzeptanz des Impfprogramms kommt.

Unter diesen Bedingungen könnten alle Beschränkungen für Geimpfte fallen?

BUYX Das ist ein wichtiger Punkt: Bei wenig eingriffsintensiven Maßnahmen, also Abstand, Maske, Händewaschen, plädieren wir dafür, diese jedenfalls auch für Geimpfte beizubehalten. Das kann man allen zumuten, solange man es braucht. Dabei Ausnahmen zu machen, könnte für Unruhe sorgen, auch weil diese Maßnahmen in der Öffentlichkeit so sichtbar sind. Bei den harten Freiheitsbeschränkungen durch den Staat, wenn sie dann überhaupt noch notwendig sind, wären wie gesagt kontroverse Fragen der Gerechtigkeit und Akzeptanz noch zu klären.

Wie sieht es im privatwirtschaftlichen Bereich aus?

BUYX Diese Unterscheidung ist tatsächlich wichtig, das ging in den öffentlichen Debatten manchmal etwas durcheinander. Bei privaten Anbietern halten wir fest, dass diese den Zugang zu ihren Angeboten, Waren und Dienstleistungen grundsätzlich beschränken können, weil hier die Vertragsfreiheit gilt. Allerdings könnte gerechtfertigt sein, diese Freiheit einzuschränken, wenn diese Angebote für eine gleichberechtige, basale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unerlässlich sind, also etwa im Gesundheitsbereich.

Besonders gefährdete Menschen, etwa Ältere, Pflegeheimbewohner und Vorerkrankte, werden zuerst geimpft. Müssen Sie sich dennoch lange mit harten Beschränkungen abfinden?

BUYX Wir sehen große Herausforderungen in Pflege-, Senioren-, Behinderten- und Hospizeinrichtungen. Sie sind durch Kontaktbeschränkungen und Isolation besonders lange und besonders stark, im zentralen Lebensvollzug, belastet. Hier könnte man mit Augenmaß die starken Einschränkungen für Geimpfte aufheben. Vorab müsste aber genau geprüft werden, wie man dann dort mit einzelnen Personen umgeht, die noch nicht geimpft sind, und etwa eine Trennung von den Geimpften erwägen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort