Regierungsberater sehen dafür derzeit keine Grundlage Ethikrat gegen Sonderregeln für Geimpfte

Berlin · Der Deutsche Ethikrat sieht noch keine Möglichkeit für eine Rücknahme staatlicher Freiheitsbeschränkungen für Geimpfte.

 Alena Buyx, Vorsitzende Deutscher Ethikrat (M), Sigrid Graumann, Sprecherin der AG Pandemie des Deutschen Ethikrates (l), und Volker Lipp, Stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates.

Alena Buyx, Vorsitzende Deutscher Ethikrat (M), Sigrid Graumann, Sprecherin der AG Pandemie des Deutschen Ethikrates (l), und Volker Lipp, Stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Zuvor müsse sichergestellt sein, dass sie andere nicht mehr mit Covid-19 infizieren könnten, betonten die vom Bundespräsidenten berufenen, unabhängigen Experten. Das sei derzeit nicht der Fall. Außerdem seien bisher nur wenige Menschen geimpft. Eine vorzeitige Aufhebung von Beschränkungen für diesen kleinen Personenkreis werde als ungerecht empfunden.

Allerdings gab das Gremium wichtige Hinweise für das weitere Vorgehen. So formulierte es, dass tiefgreifende Einschränkungen des sozialen und wirtschaftlichen Lebens nur so lange gerechtfertigt seien, wie die Versorgung schwer erkrankter Covid-19-Patienten das Gesundheitssystem akut zu überlasten drohe. „In dem Maße, in dem dieses Risiko erfolgreich gesenkt werden kann, müssen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung, die gravierende Grundrechtseingriffe beinhalten, für alle zurückgenommen werden“, sagte die Vorsitzende Alena Buyx. Damit wird nach Auffassung des Ethikrates künftig die Zahl der Intensivpatienten zu einem wichtigeren Kriterium als etwa die Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen, die derzeit noch die Maßnahmen bestimmt. Und die Zahl der Schwerkranken könnte relativ schnell sinken, weil zuerst die besonders gefährdeten Älteren geimpft werden. Eine vorzeitige Ausnahme will der Ethikrat für geimpfte Bewohner von Alten- und Pflegeheimen. Die Besuchs- und Kontaktverbote zu ihnen müssten so bald wie möglich aufgehoben werden, denn sie stellten eine doppelte Einschränkung dar.

Buyx wandte sich grundsätzlich dagegen, in der Diskussion von „Privilegien“ oder Vorteilsnahme durch Geimpfte zu sprechen. Das sei „verwirrend“ und heize die Diskussion unnötig auf. Vielmehr seien die Freiheitsbeschränkungen, die der Staat verhängt habe, „ethisch wie rechtlich legitimationsbedürftig“.

Die Experten gaben auch Empfehlungen zu einigen speziellen Fragen, die im Zuge der Debatte aufgetaucht waren. So hatten Konzertveranstalter aber auch Wirte angekündigt, nur für Geimpfte zu öffnen; auch für Bundesligaspiele war das diskutiert worden. Der Ethikrat stellte klar, dass sich private Anbieter von Waren und Dienstleistungen hier tatsächlich auf ihre Vertragsfreiheit berufen können. Dies gelte freilich erst, wenn nicht eine allgemeine Schließung seitens des Staates verordnet sei, also nach dem Ende des allgemeinen Lockdowns. Buyx deutete an, dass sie mit gerichtlichen Auseinandersetzungen über diese Frage rechnet.

Um Nichtgeimpften ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, dürfe es solche privaten Sonderrechte für Geimpfte ohnehin nicht in zentralen Bereichen wie dem öffentlichen Nahverkehr geben, sagte Ethikrats-Experte Volker Lipp.

Klar wandte sich das Gremium dagegen, Geimpften umgekehrt besondere Pflichten aufzuerlegen, etwa zu gemeinwohlorientierten Arbeiten. Das setze „einen Gegenanreiz zur Impfung“, warnten die Experten. Von der Pflicht zum Tragen von Masken und zum Einhalten von Abständen, die noch länger notwendig sein könne, sollten Geimpfte und Nichtgeimpfte nur gleichzeitig entbunden werden, empfahl das Gremium. Sonst leide das Gerechtigkeitsgefühl und auch die Durchsetzbarkeit solcher Regeln.

Im Bundestag wurden die Empfehlungen unterschiedlich aufgenommen. Während die FDP die Aussagen des Gremiums als Unterstützung für ihre Position wertete, die Freiheitseinschränkungen so bald wie möglich wieder zurückzunehmen, sah die Linke die ganze Debatte mit Skepsis. „Das ist ein Einfallstor für die Lockerungslobby“, sagte Linken-Chefin Katja Kipping. „Denn je ausdifferenzierter und unübersichtlicher die Regeln werden, je mehr bröckelt die Akzeptanz für den Infektionsschutz.“ Die AfD warnte hingegen vor einer Impfflicht, „egal ob ausdrücklich im Gesetz geregelt oder indirekt über die Versagung von Rechten“, so ihr Bundes-Vize Stephan Brandner.

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