Weltwissen als Handelsware

Saarbrücken · Der Hamburger Mediävist Jürgen Sarnowsky hat Reiseberichte von Kolumbus über Vasco da Gama bis zu James Cook neu ausgewertet. In seinem kenntnisreichen Buch zeichnet er nach, wie die frühen Entdecker fremde Kulturen wahrnahmen.

Es fehlt nicht an Literatur über die seit dem Mittelalter vollzogene Vermessung der Welt, die oft genug mit der schamlosen Unterdrückung und Ausbeutung derer verbunden war, die die von Europäern entdeckten Inseln oder Kontinente jahrhundertelang bewohnt hatten. Wenn der Hamburger Mediävist Jürgen Sarnowsky mit "Die Erkundung der Welt" nun einen Abriss der großen Entdeckungsreisen von Marco Polo bis Alexander von Humboldt vorlegt, stellt sich denn auch weniger die Frage, was darin noch Neues verhandelt wird. Die Qualität seiner Abhandlung besteht vielmehr in ihrer Zusammenschau. Sarnowsky konzentriert sich auf eine Quellenauswertung historischer Reiseberichte - unter der Maßgabe herauszufinden, wie die frühen Entdecker fremde Kulturen wahrnahmen, sie literarisierten oder aufgrund von Vorurteilen, bereits vorhanderer Schilderungen oder schlicht Unkenntnis verfälschten.

Anfangs waren es neben Pilgern vor allem italienische Kaufleute, die in die Ferne zogen. Schon im ausgehenden 13. Jhr. etwa gelangten venezianische Händler bis nach China. Bereits ein Jahrhundert zuvor importierten Pisaner und Genuesen afrikanisches Gold über die Transahara-Route. Wie begrenzt das damalige Weltwissen war, illustrieren mittelalterliche Weltkarten: Zwei Flüsse, Don und Nil, sowie das Mittelmeer teilten in der damaligen Vorstellung die Landmasse der Erde T-förmig in die drei Kontinente Europa, Afrika und Asien. Interessant ist, wie früh bereits Zweckkoalitionen aus religiösen Motiven geschlossen wurden: Obwohl etwa die Mongolen spätestens nach deren Einfall in Ungarn und Polen 1241/42 gefürchtet waren, suchte man sie als Bündnispartner gegen Muslime, um unter ihrem Schutz christliche Missionen im Heiligen Land abzusichern. Die Christianisierung reichte bis Südchina, wo die Franziskaner in Quanzhou gar ein Bistum errichten konnten.

Erst im 15. Jhr. wurden nicht-religiöse Motive bestimmend für Expeditionen in unbekanntes Terrain. Für 1444 ist die erste organisierte Sklavenhandelsfahrt verbürgt; bald danach sicherten sich die Portugiesen mit der Gründung einer Minengesellschaft die Ausbeutungsoberhoheit auf dem schwarzen Kontinent. Auch verstanden sie sich auf das, was man Herrschaftswissen nennt: Die Verbreitung der berühmten "Suma Oriental", die detaillierte Informationen über Handelspraktiken in Indien und Südostasien enthielt, hielt man bis ins 16. Jhr. unter Verschluss.

In acht Kapiteln zeichnet Sarnowsky in markanten Linien die großen Handelsbewegungen der frühen Neuzeit nach - allerdings alleine aus europäischer Richtung, wodurch ägyptische oder chinesische Vorstöße unberücksichtigt bleiben. Ob die Portugiesen unter Vasco da Gama, die Spanier unter Kolumbus und Magellan oder die Engländer unter Francis Drake: Gewürze, Gold, Edelstein und Seide standen lange im Fokus. Während Spanier und Portugiesen koloniale Stützpunkte errichteten, die "Fahrten um die Welt überflüssig machten", wurden im ausgehenden 16. Jhr. die Briten und Holländer zu neuen Herren der Weltmeere. Sarnowsky verdeutlicht, dass relativ spät Forschergeist zur Antriebsfeder wurde. Die erste wissenschaftliche Expedition begann 1899 unter den Briten William Dampiers, bald folgten James Cooks legendäre drei Pazifik-Forschungsreisen.

So kenntnisreich der Abriss ist, seinen Anspruch, die eurozentrische Sicht der Welterkunder in ihrem Für und Wider nachzuzeichnen, löst Sarnowsky nur selten ein. Exkurse wie den über den niederländischen Hofmeister Johan Nieuhof, dessen von Hochachtung geprägte China-Berichte das Bild der Chinesen in Europa bis ins frühe 19. Jhr. lenkten, hätte man sich mehr gewünscht.

Jürgen Sarnowsky: Die Erkundung der Welt. Die großen Entdeckungsreisen von Marco Polo bis Humboldt. C.H. Beck, 240 Seiten, 19,95 €.

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