Premiere von „Kafkas Haus“ am Saarländischen Staatstheater „Kafkas Haus“ als Feinkostladen

Saarbrücken · Mit einer Kafka-Collage hat das Staatstheater am Samstag seine Schauspielsaison eröffnet. Besser an Kafka scheitern, als dieser Abend es zeigt, lässt sich schwerlich.

 Pomadisiertes Haar & Feinripp-Unterwäsche (dank Kostümbildnerin Michaela Kratzer): Szene aus der grandiosen Dramatisierung der Kafka-Erzählung „Das Urteil“: Sébastien Jacobi, Anne Rieckhof, Ali Berber, Raimund Widra (als Georg Bendeman), Philipp Weigand, Philipp Seidler und Gregor Trakis (v.l.).

Pomadisiertes Haar & Feinripp-Unterwäsche (dank Kostümbildnerin Michaela Kratzer): Szene aus der grandiosen Dramatisierung der Kafka-Erzählung „Das Urteil“: Sébastien Jacobi, Anne Rieckhof, Ali Berber, Raimund Widra (als Georg Bendeman), Philipp Weigand, Philipp Seidler und Gregor Trakis (v.l.).

  Wahrscheinlich kann, wer Franz Kafkas gewaltiges, als heillos verzweigtes Labyrinth angelegtes Textgebirge auf Bühnenformat zusammenschnurren lässt, nur scheitern. Viel besser, als Regisseurin Laura Linnenbaum am Samstag im Großen Haus des Staatstheaters, geht es aber wohl kaum. Ihre Inszenierung findet nicht nur einige hinreißende Bilder für jenes existenzielle Ausgeliefertsein (ob als Zweifelnder, Liebender oder Hoffender), das Kafka wie kein zweiter Autor der Moderne in seinen Erzählungen und Romanen als „stehenden Sturmlauf“ ohne Ausweg beschrieben hat. Sie kitzelt dazu auch viel Verwandlungskraft aus dem fortlaufend in neue Rollen schlüpfenden Ensemble heraus, das Kafkas Daseinsergründungen wie Honig eingesaugt hat. Und dennoch wirkt „Kafkas Haus“, so der Titel von Linnenbaums ambitionierter Collage, am Ende ein bisschen wie ein – zwar nicht seelenloses, so doch verwaistes – Text-Museum, in dem man Kafkas vertrackter Welt kaum näherkommt. Auch wenn einzelne Erzählbausteine in diesem nachgestellten Haus zu täuschend echt wirkenden Kulissen arrangiert sind.

Dabei beginnt es grandios: Da gelingt Linnenbaum eine superbe Zuspitzung von Kafkas berühmter Erzählung „Das Urteil“, in der ein Sohn von seinem Vater scheinbar aus heiterem Himmel vom Familiensockel gestoßen und zum Tod verurteilt wird. Vor einer schwarzen Wand sitzt das spätere Opfer Georg, umgeben von sechs inneren Stimmen, am Schreibtisch, um einem Freund in St. Petersburg einen möglichst nichtssagenden Brief zu schreiben. Mal vervielfältigt sich jede Geste, jeder Gedanke gleich siebenfach, dann wieder schälen sich einzelne Figuren heraus – eine bezwingende, kongenial zwischen Komik und Albtraum hin und her springende Vergegenwärtigung von Georgs innerer Überforderung, kulminierend in seinem späteren Umzingeltsein von sechs omnipräsenten Über-Vätern. Dass der Abend die Dichte und Wucht dieses Auftaktbildes später nicht mehr erreicht, hat Gründe: Es ist die einzige Kafka-Erzählung, die (bei allen naturgemäßen Aussparungen einer Theatralisierung) halbwegs vollständig auf die Bühne kommt.

Ansonsten streift und lugt der Abend in „Kafkas Haus“ zwar in ein gutes Dutzend ebenso klaustrophobisch wie rätselhaft und daseinsverloren anmutender Textzimmer: Linnenbaum setzt auf Romanauszüge aus „Das Schloss“ und vor allem aus „Der Prozess“ und collagiert diese mit Passagen aus diversen Kafka-Erzählungen (von „Blumfeld, ein älterer Junggeselle“ über „Die Verwandlung“ bis zu den „Forschungen eines Hundes“). Immer aber bleibt dies Stückwerk. Im Fall von Kafkas parabelhaftem „Prozess“, in dem ein gewisser Josef K vor Gericht gestellt wird, ohne den Grund dafür je zu erfahren, geht diese Plünderung des Ganzen zugunsten prägnanter Teile noch gut auf: Valentin Baumeisters, die schreiende Anonymität von Bürokratien in seelenlose Kargheit übersetzendes Bühnenbild zeigt uns eine Phalanx grauer Schreibtische inmitten eines schwarzen Nichts, an denen die Schreiber der Gerichtsbürokratie automatenhaft agieren. Zwischen ihnen irrt K herum, vergeblich nach seinem Richter suchend, den er zuletzt wie einen Erlöser herbeisehnt. Ist doch die Schuld „immer zweifellos“, wie Klamm, der Untersuchungsrichter, weiß.

Wie Linnenbaum, sporadisch unterlegt von Fiete Wachholtz’ Sounddesign, das zusätzliches Bedrohungspotenzial ausspielt, „Prozess“-Szenen mit Bruchstücken aus diversen Kafka-Erzählungen koppelt und verschränkt, das ist fraglos gekonnt und trägt diese 135 Minuten episodisch durchaus auf Händen. Doch kann es nicht darüber hinwegtäuschen, dass diesem kunstvollen Hantieren mit (allzu) vielen Erzählfäden ein roter Faden als Ziel fehlt, der über das Zurschaustellen einiger Kafka-Grundmotive hinausgeht. Die da wären: die Fragwürdigkeit aller Aussagen, das Ausgeliefertsein an ein undurchschaubares System, das Zweifeln als menschliche Grundkonstante, die Dialektik von Macht und Ohnmacht und die Vergeblichkeit von Liebe. Das mag nicht wenig sein an ausgeworfenen Regie-Angeln. Ob Kafka-Fremde jedoch in diesem Potpourri den Überblick behalten, steht auf einem anderen Blatt. Kafka-Kenner hingegen dürften sich eher in einem Gemischtwarenladen wähnen, in dem die innere Geschlossenheit der Texte (und deren Verweisungszusammenhang) willkürlich aufgelöst wird und bisweilen die Resttexttreue durch kleine, nicht sonderlich originelle Hinzufügungen leidet.

Zugleich aber geizt der Abend nicht mit großartigen Szenen: ob die Annäherung zwischen K und der Klamm-Geliebten Frieda, die sich als Schattenspiel hinter einem weißen Tuch vollzieht, oder jene furiose, nahezu stumme Szene, in der die „Frau aller Frauen“ und „der Einsame“ das Ausloten von und das Zurückschrecken vor Nähe zu einem Ewigkeitsbild angehaltener Sehnsucht aufladen. Dass das Hinübergleiten von einem Kafka-Auszug zum nächsten meist nahtlos gelingt, verdankt sich neben Linnenbaums alles andere als brachialer Montagetechnik den überaus nuanciert agierenden Darstellern. Allesamt halten sie (Anne Rieckhof, Ali Berber, Sébastien Jacobi, Philipp Seidler, Gregor Trakis, Philipp Weigand und Raimund Widra) selbst in manchen fast slapstickhaften Einlagen die Balance zwischen unfreiwilliger Komik und freiwilligem Ernst.

Dass Klamm, Inkarnation der keine Individualität duldenden Obrigkeit, zuletzt von den anderen ausgezogen und damit zum Menschen aus Fleisch und Blut gemacht wird, kann kein Kafka-Schlussbild sein. So viel Hoffnungsmut ließ er uns nicht zurück. Also endet es mit einem Monolog aus „Der Bau“, entstehungsgeschichtlich eine der letzten Erzählungen des 1924 mit 41 Jahren gestorbenen Autors. Darin hofft ein Tier in seinem unterirdischen Gangsystem, „dass die Gegnerschaft der Welt gegen mich vielleicht aufgehört (hat). Als hätte die Macht des Baues mich herausgehoben aus dem bisherigen Vernichtungskampf.“ Irrtum. Er geht weiter. Die grauen Herren kehren zurück. Um den tuberkulosekranken Kafka selbst zu verhören. Das letzte Wort gebührt dann ihm: „Die Tuberkulose, so wie ich sie habe, ist keine eigentliche Krankheit, es ist ein Ansturm gegen die letzte irdische Grenze – ein Ansturm von innen.“ Ein laues Windchen war dieser Abend aber auch nicht. Man sparte nicht mit Applaus.

 Auf Kafkas „Prozess“ anspielende Szene mit Josef K (Raimund Widra), der dort, wo eben noch die Bürokratie waltete, in eine schlüpfrige Unterwelt gerät.

Auf Kafkas „Prozess“ anspielende Szene mit Josef K (Raimund Widra), der dort, wo eben noch die Bürokratie waltete, in eine schlüpfrige Unterwelt gerät.

Wieder am 5., 19., 21. und 28. September, 16. und 26. Oktober sowie am 16. November. Karten unter Tel: (06 81) 30 92 486.

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