Verdun, zwei Mal angeschaut

Saarbrücken · Ein deutscher und ein französischer Künstler sind in Verdun, wo 1916 eine erbarmungslose Vernichtungsschlacht tobte, auf Spurensuche gegangen. Die Stiftung Demokratie Saarland in Saarbrücken zeigt ihre Werke.

 Martin Blumes Fotografie „Froideterre II“. Fotos: Blume, Berry / Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz

Martin Blumes Fotografie „Froideterre II“. Fotos: Blume, Berry / Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz

Auschwitz, Hiroshima, auch Verdun. Diese Erinnerungsorte menschlicher Katastrophen behaupten vornehmlich durch dokumentarische Zeugnisse einen Platz im kollektiven Gedächtnis. Künstler begeben sich nur selten in diese ungleiche Konkurrenz. Das war beim Franzosen Emmanuel Berry (Jahrgang 1971) und dem Deutschen Martin Blume (1956-2015) anders. Im Auftrag der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz erforschten sie unabhängig voneinander das, was sich um die lothringische Stadt Verdun an Überresten der 300 Tage dauernden "Urschlacht" des 20. Jahrhunderts findet. Die Ausstellung "Verdun - 100 Jahre danach" bindet ihre Arbeiten zusammen. 52 davon sind jetzt in den Räumen der Stiftung Demokratie Saarland (SDS) am Saarbrücker Eurobahnhof zu sehen. Die Schau markiert den Start einer Kooperation zwischen der Stiftung und dem Musée Les Mineurs Wendel in Petite-Rosselle. Man will hauseigene Ausstellungen austauschen, gemeinsame Vortragsreihen konzipieren und Verständnis für verschiedene Erinnerungskulturen fördern. Doch anders als zu vermuten handelt es sich beim Verdun-Projekt nicht um eine kulturhistorische Ausstellung, die Hintergründe zum Ersten Weltkrieg liefert. Man sieht "reine" Fotokunst, die Fotografien müssen ihr Thema alleine tragen.

Verdun, das sind im Jahr 1916, zwischen Februar und Dezember, 300 000 Tote, geopfert in einem weder strategisch sinnvollen noch militärisch erfolgreichen Zermürbungskrieg für eine vermeintliche "Erbfeindschaft" zwischen Deutschen und Franzosen. Und heute? Gibt es Häuser- und Festungsruinen, Soldatenfriedhöfe, Kriegerdenkmäler; die früheren Schlachtfelder, die Kriegsgerät, Leichen und Munition verschluckten, sind immer noch zum Teil gesperrte Todeszonen. Ein Ort des Grauens? Weder Berry noch Blume fahnden nach Horrorstories, liefern keine Betroffenheits-Kunst. Und: Beide anerkennen die historische Distanz. Grauen lässt sich nicht konservieren.

Berry wählt extreme Bildausschnitte, entrückt die Landschaft durch künstliche Farben und Neoneffekte, presst die Motive in kreisrunde Formate (Tondo) wie in einem Poesiealbum. Der Boden wird zum braunen Wellenmeer, die Maserung eines gekappten Baumstammes wirbelt auf wie ein Tornado. Surreal ist diese Welt, wird dekorativ, gar kitschig arrangiert. Verdun, ein japanisches Haiku? Eingeschweißt in einen eisernen Kunst-Willen? Das ist zumindest frappierend.

Ganz anders Blume. Er, der sich "Psychophotograph" nannte, wühlt sich unter die sichtbare Oberfläche, auch er färbt seine Werke ein, lässt sie gelbstichig wie alte Fotos aussehen. Schnee hat es ihm angetan, er ist der natürliche Verfremder, der die sonst so markant zackigen Kreuze auf den Gräbern ins Unendliche verrückt und verwischt. So werden die Gefallenen noch ein wenig unkenntlicher, anonymer - eine großartige Symbolik. Nicht alle Werke halten dieses Niveau. Was leistet diese Schau also? Sie schärft die Sensibilität.

 Emmanuel Berry nahm die Kapelle von Louvemont 2012 auf.

Emmanuel Berry nahm die Kapelle von Louvemont 2012 auf.

Bis 9. Dezember. Stiftung Demokratie Saarland, Europaallee 18 (Sb). Mo-Do: 9-16 Uhr, Fr: 9-14 Uhr. Tel: (06 81) 906 26 24, www.sdsaar.de

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