Wenn die Sinnsuche im Dschihad endet

Saarbrücken · Warum ziehen in Deutschland aufgewachsene Mädchen für den Islamischen Staat in den Dschihad? Güner Yasemin Balci geht in ihrem neuen Buch dieser beunruhigenden Frage auf den Grund. Am Donnerstag stellt sie es in Saarbrücken vor.

Eigentlich hat die sechzehnjährige Nimet Kaya aus Berlin-Neukölln mit dem Islam nichts am Hut. Wenn sie nicht gerade auf ihrem Smartphone daddelt, hängt sie am liebsten zusammen mit ihrer besten Freundin Cayenne irgendwo ab. Für schwarzverhüllte Frauen hat sie zunächst wenig übrig und beschimpft sie anfangs lautstark auf der Straße als "Pinguine", bevor sie sich im KaDeWe schminken geht. Doch dann trifft Nimet auf die selbstsichere Konvertitin Nour, die Cousine ihrer besten Freundin - und die unglaubliche Verwandlung des ,normalen‘ Teenagers zur kopftuchtragenden Dschihadisten-Braut nimmt ihren verhängnisvollen Lauf.

Laut einem Bericht des Verfassungsschutzes aus dem vergangenen Jahr haben sich bisher etwa 100 Frauen aus Deutschland auf den Weg nach Syrien und den Irak gemacht, um dort den sogenannten IS zu unterstützen. Grund genug für die türkischstämmige Autorin und Journalistin Güner Yasmin Balci, die erst kürzlich für ihre Doku "Der Jungfrauenwahn" (ZDF/Arte) den Bayrischen Fernsehpreis 2016 erhielt, die Beweggründe der Frauen unter die Lupe zu nehmen. Wie schon in ihren früheren Veröffentlichungen ("Arabboy", "Aliyahs Flucht") verdichtet die Berliner Autorin ihre Erfahrungen mit Jugendlichen, die sie als ehemalige Sozialarbeiterin im Mädchentreff Neukölln gesammelt hat. Mit dem geschulten Auge der Journalistin seziert sie im Stile einer Dokumentation das ihr vertraute türkischstämmige und arabische Großstadtmilieu.

Die in Jugendsprache verfassten Dialoge sind authentisch und runden das plausible Psychogramm Nimets ab, die stellvertretend für einen heute gefürchteten Teil ihrer Generation steht. Diese wächst sich weitgehend selbst überlassen gewissermaßen zwischen den beiden Welten auf. Auch das Scheidungskind Nimet fühlt sich ausgegrenzt, dürstet nach Anerkennung, die sie weder vom abwesenden Vater, noch von der überforderten alleinerziehenden Mutter Sibel bekommt. Auf der Suche nach Identität und einem stabilen sozialen Umfeld gerät sie in die Fänge der IS-Rekrutierer, die sie via Smartphone umgarnen und ihr die ersehnte Gewissheit auf dem ideologischen Silbertablett servieren.

Balcis milieutheoretischer Ansatz ist schlüssig. Bereits in ihren Familien werden die Mädchen auf eine Rolle festgelegt, die einem antiquiert-verklärten Bild von Partnerschaft und Liebe Vorschub leistet, das die Rekrutierer des IS perfekt zu bedienen wissen. Dass die Auserwählten tatsächlich im türkisch-syrischen Grenzgebiet enden, wo Frauen rudelweise zur Belohnung für Gotteskrieger (den vermeintlichen Märchenprinzen) bereitgehalten werden, muss auch Nimet erfahren, nachdem sie alle Rettungsversuche der Eltern ausgeschlagen hat. Ein bemerkenswertes, aufrüttelndes Lehrstück, als Schullektüre sehr zu empfehlen.

Güner Yasemin Balci: Das Mädchen und der Gotteskrieger. Fischer, 320 Seiten, 19,99 Euro.

Aktualisierung: Die Lesung am Donnerstag, 27.10.2016, um 19 Uhr in der Akademie der Stiftung Demokratie Saarland (Europaallee 18, Saarbrücken) entfällt leider.

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