SZ-Interview Das Größte aber ist die Freiheit!

Merzig · Die SaarArt führt ihr Werk zusammen: Wir baten den ältesten und die jüngste Teilnehmerin um ein Gespräch.

 Paul Schneider hält nichts von zeitgenössischer Kunst – aber viel von Lisa Marie Schmitt und deren Skulptur im Merziger Fellenbergmuseum. Foto: Rich Serra

Paul Schneider hält nichts von zeitgenössischer Kunst – aber viel von Lisa Marie Schmitt und deren Skulptur im Merziger Fellenbergmuseum. Foto: Rich Serra

Foto: Rich Serra

Sie spielt Pflanzen etwas auf der Geige vor, bis sie tanzen, er bearbeitet Steine. Der Bildhauer Paul Schneider (90) war bei nahezu jeder Landeskunstausstellung dabei, Lisa Marie Schmitt (26) nimmt zum ersten Mal teil. Ihr Werk wird im Museum Schloss Fellenberg gezeigt. Wir trafen sie dort. Respekt und Neugier grundieren die gesamte Begegnung.

Sie sitzen hier überraschend harmonisch beieinander. Dabei hatte man mir ein Streitgespräch angekündigt, weil Sie, Herr Schneider, angeblich gar nichts von zeitgenössischer Kunst halten?

Schneider Das stimmt ja auch. Die heutigen Künstler reden viel und haben keinen Mut zur Arbeit. Ich habe im Steinbruch gearbeitet, ich hatte keine Angst vor großen Steinen. Ich musste immer schwer arbeiten. Wenn man dort arbeitet, wird man ganz klein, und die heutigen Künstler fühlen sich alle so groß.

Schmitt Zeitgenössische Kunst ist zeitgenössische Kunst, weil sie einbezieht, was uns heute umgibt. Wir müssen mit dem Internet arbeiten. Es ist schwer, herauszufinden: Was interessiert mich wirklich? Man muss eine Nadel im Heuhaufen finden. Es gibt so viele Medien, man wird mit Millionen von Informationen bombardiert. Da fühle ich mich auch ganz klein. Verstehen Sie das?

Schneider Sie sind total von der Technik verführt! Alle Menschen sind heute nur noch mit der Technik beschäftigt. Alle sind am telefonieren, schauen in diese Dinger und schauen sich nicht mehr an, sie brauchen sich gegenseitig nicht mehr, und vielleicht brauchen sie auch die Kunst nicht mehr.

Das wäre aber bitter für Sie, nach einer so langen Lebensstrecke für die Kunst. Sie sind Teilnehmer der Landeskunstausstellung. Man braucht Sie offensichtlich noch.

Schneider Ich bin ein Privatphilosoph. Ich brauche keine Ovationen. Die jungen Künstler gehen den Weg des geringsten Widerstandes. Sie hängen rote Dreiecke an die Wand (zeigt auf ein Wandobjekt) und denken, das ist Kunst. Ich bin ein Verehrer von Joseph Beuys, der hat die Welt ein bisschen verrückt gemacht. Jetzt denkt jeder, mit ein paar Strichen hat man Kunst gemacht.

Schmitt Ich würde das mal so formulieren: Es ist möglich, mit drei Strichen Kunst zu machen, aber nicht jeder, der drei Striche macht, hat Kunst gemacht. Von Beuys sind viele Sachen, die vom zeitlichen Aufwand her schnell gehen. Aber er hat sich immer was dabei gedacht. Es gibt heutzutage immer mehr Kunst, bei der mehr Arbeit im Kopf passiert als bei der Ausführung. Das heißt aber nicht, dass man sich keine Mühe macht.

Sind ältere Künstler wie Paul Schneider Vorbilder für Sie, unabhängig von ihrer Kunst und dem Erfolg, den sie damit haben?

Schmitt Jemand, der so lange an der Kunst drangeblieben ist, ist auf jeden Fall ein Vorbild.

Weil immer noch Spitzwegs Bild vom armen Poeten gültig ist: Man muss darben und durchhalten?

Schneider Ich habe lange gebraucht, bis ich den Mut hatte, an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich habe sehr bescheiden und sparsam gelebt, aber wir konnten von meiner Arbeit leben. Ich war ein anspruchsloser Mensch. Meine Frau und ich, wir hatten Freude an meiner Kunst. Da brauchte meine Frau keine Dauerwellen, sie hat alles selbst genäht.

Frau Schmitt, ist das auch Ihr Lebensmodell: Nie mehr zum Friseur?

Schmitt Ich brauche kein Riesengeld, aber ich würde gerne von meiner Kunst leben können. Es ist sehr anstrengend. Ich unterrichte an zwei Kinderkunstschulen, das ist schön. Doch ich würde gerne sechs Tage die Woche ins Atelier gehen. Im Saarland ist es nicht einfach, sich zu finanzieren. Andere Bundesländer haben weit mehr Förderpreise, hier werden die Mittel für Kunst im öffentlichen Raum gekürzt. Andererseits hat man als Künstler die Freiheit zu bestimmen, was man wo tut. Dass ich eingeladen werde und reisen kann, auch wenn es kein Honorar gibt, ist schön. Diese Art von Leben ist mir schon wichtiger. Was mich stört ist, dass ich darauf angewiesen bin, lehren zu müssen. Ich würde mir mehr Freiwilligkeit wünschen.

Schneider Wenn ich Ihnen mal was sagen darf: Das Schönste an der Kunst ist die Freiheit. Man merkt das immer mehr, dass es die Freiheit ist, die einen eigentlich treibt. Und dass man gar nicht sehr viel mehr braucht zum Leben. Wenn ich Ihre Arbeiten sehe, dann sehe ich: Sie sind begabt. Sie sind von der Kunst begeistert. Das kommt doch nicht einfach so. Ich habe eine Liste mit den Mitgliedern des Künstlerbundes in der Tasche, über 40 Namen. Die meisten können nicht von ihrer Kunst leben. Und dann wird in Saarbrücken ein Museum gebaut, das fast 40 Millionen Euro kostet. Alles Geld wird dort rein gesteckt. Und wenn es fertig ist, dürfen die saarländischen Künstler in dem Haus nicht ausstellen. Meine Sachen stelle ich im öffentlichen Raum aus. Für meine Kunst brauche ich das Museum nicht.

Schmitt Ich frage mich auch, ob wir die Erweiterung der Modernen Galerie gebraucht haben. Vom Ansatz her finde ich den Gedanken total super: einfach aufs Museum verzichten. So etwas heißt ja auch, dass man seine Kunst näher an die Leute heranbringt, dass sie nicht an einen elitären Ort gehen müssen. Deshalb halte ich Kunst im öffentlichen Raum für sehr, sehr wichtig. Aber meine Kunst braucht nun mal ein Dach überm Kopf.

Herr Schneider, sagen Sie mal was zur Arbeit von Frau Schmitt, zu ihrer Hörrohr-Skulptur mit Pflanze.

Schneider Dieses Objekt macht neugierig, es ist lebendig. Es ändert den Blick, es stellt einen Kontakt zu einer Sache her, zu der man sonst keinen Kontakt hat. Es ist eine leise Kunst. Und wir sind so eingebettet in Industrie, in Lärm. Ich denke dann: So eine arme Pflanze, die kann nicht mehr existieren, weil da nur noch Krach ist. Das sehe ich, deshalb ist dies alles sehr schön.

Und was sagen Sie zu Paul Schneiders "Sonnenstein mit Schlangenhaut?"

Schmitt Ein Stein allein haut mich nicht um. Aber wenn ich höre, wie Paul Schneider das empfindet, dass er sich so klein fühlt, was Trümmer für ihn bedeuten, das bringt mich zum Nachdenken.

Herr Schneider, haben Sie Kontakt in die junge Künstlergeneration?

Schneider Ich habe an der heutigen Kunst das Interesse verloren. Ich habe keine Kontakte zur HBK. Zwischen der Kunsthochschule und den freien Künstlern gibt es eine Distanz. Die Freien leben ihr Leben, wir haben uns nichts zu sagen.

Schmitt Das ist aber sehr, sehr schade! Und ich muss sagen: Das liegt dann eher an Ihrer Generation, denn die Studenten sind offen für Diskussionen. Es ist schwieriger für sie, zu den älteren Künstlern Kontakt aufzunehmen als umgekehrt. In der HBK kann man einmal im Jahr die Jahresausstellung angucken.

Schneider Dass ich mich zurückgezogen habe, hat auch mit dem Kultusminister zu tun. Ich habe ihn angeschrieben, ich habe den Umweltminister angeschrieben. Da sind drei Windräder aufgestellt worden in Merzig-Wellingen. Bei unserem Symposion dort, "Steine an der Grenze", waren 36 Gäste im Saarland, aus allen Ländern, die sind ignoriert worden. Dieses Projekt hätte geschützt werden müssen vor der Industrie. Der Minister hatte keine Zeit. Wir haben keinen Kultusminister im Saarland.

Wie sehen Sie das, Frau Schmitt?

Schmitt Ich habe auch den Eindruck, dass die Politik im Saarland für Künstler nicht so viel übrig hat.

Aber man finanziert die Landeskunstausstellung. Braucht man so etwas in dieser Form?

Schneider Ich halte es für eine gute Institution. Wir haben im Saarland sehr gute Künstler, die sich überall in Deutschland sehen lassen können, wir sind nur nicht genug bekannt.

Schmitt Im Saarland ist immer alles nur saarländisch, das finde ich problematisch. Ich habe viele Kontakte in andere Bundesländer. Aber niemand kennt die SaarArt. Da muss man sich fragen: Was geht da schief? Wenn niemand die SaarArt wahrnimmt, stellt man sich doch nur selbst aus. Das Gespräch führte Cathrin

Elss-Seringhaus.

Die Langfassung des Gesprächs lesen Sie auf www.saarbruecker-zeitung.de/landeskunstausstellung

Zum Thema:

Museum Schloss Fellenberg, Torstraße 45A. Bis 2. Juli. Di-So: 14-17 Uhr. Künstler: Peter Baus, Christian Cordes, Katharina Krenkel, Lisa Marie Schmitt, Paul Schneider, Sabrina Sperl.

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