Farbvorhänge und Tintensprühregen

St Wendel · Die im Museum St. Wendel, der letzten Station der „SaarArt 11“, gezeigten Werke verlangen eingehendere Betrachtung.

Wenn die überfällige Sanierung des St. Wendeler Mia-Münster-Hauses auch weiter auf sich warten lässt: Eine Außenfassadenwand des schwer in die Jahre gekommenen Baus immerhin ist für die "SaarArt 11" gewissermaßen in Schuss gebracht worden. Der Streetart-Künstler Colin Kaesekamp alias Cone the weird hat auf dem wohl zehn Meter hohen, vorgebauten Treppenturm eines seiner typischen, verkappten Graffiti-Selbstbildnisse aufgesprayt.

Drinnen - in dem im Obergeschoss des Hauses untergebrachten Museum St. Wendel - ist am Wochenende die letzte Station im "SaarArt"-Vernissagemarathon eröffnet worden. Im Aufgang hängt ein Vogelbildnis, das beim flüchtigen Vorbeigehen wie Hobbykunst wirkt. Hat sicher nichts mit der Landeskunstausstellung zu tun, denkt man sich. Und ist kurz darauf beim Betreten des ersten Ausstellungsraums, gelinde gesagt, irritiert. In erster Linie von Beate Mohrs grausam verunglückter Raumarbeit "tissue tableau I-III", für die die Professorin für "Bildnerisches Gestalten" an der Saarbrücker HBK von ihr bestickte afrikanische Schlaftücher auf flachen, wie über dem Boden schwebende Kuben in Bettformat ausgebreitet hat. Einem als Erläuterung der Installation gedachten Begleittext ist zu entnehmen, dass Mohr Fremdheitserfahrungen in der Konfrontation zweier Kulturen thematisieren will. Warum Museumsleiterin Cornelieke Lagerwaard, Kuratorin der SaarArt 11, ausgerechnet diesen ästhetischen und konzeptionellen Tiefpunkt der St. Wendeler Station an deren Anfang gesetzt hat, erschließt sich nicht.

Doch hält der Raum, anders als der erste, abscannende Eindruck dies suggeriert, ansonsten dann doch mehrere Entdeckungen bereit. In erster Linie die bei genauerem Hinsehen feingliedrigen Vogelbildnisse des HBK-Studenten Mathias Aan't Heck: Auf mit Siebdruckfarben (arg lieblich) bearbeiteten, 1,50 Meter langen Stoffbahnen hat er mit Buntstiften und zoologischer Genauigkeit tote Singvögel gezeichnet, die Aan't Heck in der Region gefunden hat. Was zunächst wie Kaufhauskunst wirkt, offenbart nach und nach Anmut und Würde - Aan't Heck nennt es selbst den "leisen Versuch, die Stille und Isolation des Todes bildnerisch einzufangen". Bemerkenswert ist, wie gut dies gelingt.

Noch eine weitere Arbeit in diesem ersten von zwei Ausstellungsräumen rückt Vögel ins Zentrum: Es sind sieben eher unscheinbare, stenografische Fineliner-Zeichnungen von Susanne Kocks. Erst im April hat sie sich auf Venedigs Markusplatz in der Technik des Taubenzählens unterweisen lassen, um dann eine Woche lang das dortige Federvieh auf andere Weise zu zählen. Sieben Tage lang hielt sie das Taubenaufkommen in jeweils einer Zeichnung fest: In bestimmten Blattarealen abstrahiert sich die Vögelballung zur reinen, gebündelten Tintenschraffur; in anderen Bildteilen scheint der Moment des Auffliegen eines ganzen Schwarmes konserviert; in wieder anderen, lichteren Strichpartien porträtiert Kocks einzelne Vögel. Noch sehr viel weiter in filigranste Strukturen hinein treibt die Südkoreanerin Ki Youn Kim (wie Kocks war sie Meisterschülerin der Saarbrücker HBK-Malereiprofessorin Gabriela Langendorf) die handwerklichen Möglichkeiten der Fine-Liner-Zeichnung.

Sie ist mit gleich 22, einen feinsten Tintenspühregen verströmenden Arbeiten vertreten: Schwarzweiß-Zeichnungen wechselnder Qualität, die aus Abertausenden von einzelnen Strichen surreale Landschaften und Architekturen kreieren, die sich mal mehr, mal weniger an der Grenze zur Illustration bewegen.

Das gilt in anderer Weise auch für die Comic-Kunst von Elizabeth Pich und Jonathan Kunz: Während Kunz in seinen textlosen "Uneasy Comics"-Blättern gezielt unzusammenhängende Bildgeschichten erzählt, um im Betrachter selbst die Assoziationsmaschine anzuwerfen, spielt Pich in ihrer ungemein witzigen, routiniert zuspitzenden Kurz-Comic-Serie "Fun Girls" ziemlich originell mit allerlei Geschlechterklischees und sonstigem sozialen Konventionsmüll.

Offensichtlich wollte Cornelieke Lagerwaard in ihrem eigenen Haus dezentere Arbeiten konzentrieren, deren Konzeption, Bildsprache, ja Geist Zeit und Zugewandtheit bedarf, um sich zu erschließen. Wenn es etwas gibt, das die dort gezeigte Kunst verbindet, dann die Gedämpftheit des Auftritts, kombiniert mit einer gewissen Detailverliebtheit. Beides kennzeichnet die Arbeiten von Thomas Kleine und Brigitte Martin. Während Kleines mit Orchideenformen spielende Unikatdrucke bei weitem nicht an seine gleichfalls ausgestellten Papierschnitte heranreichen, welche eine einzige, große Ornamentfeier verkörpern, überzeugt Brigitte Martin mit auf schwarze Industriefolie gemalten, abstraktionsgeschulten Farbmeditationen. Manche ihrer transparenten Kompositionen wirken, als seien sie - Blutstropfen gleich, auf Glasplatten gepresst und unterm Mikroskop betrachtet - im Moment ihres Zerfließens konserviert.

Die größte Farbmeditation liefert am Ende Francis Berrar, dessen großformatiges Gemälde "Before and after" (ungleich besser als seine in der Burbacher Lehrwerkstatt gezeigten Arbeiten) eine farbfädige Tiefenstruktur aufweist, die unter ihrem flirrenden Farbvorhang immer neue Schichten aufsperrt und mit ihrer Kolorierungswucht in St. Wendel einen Kontrapunkt setzt.

 Francis Berrars 270 x 190 Zentimeter messendes Großformat „Before and after“ (2017, Acryl und Öl auf Leinwand). Fotos: Lagerwaard (3), Schreiner

Francis Berrars 270 x 190 Zentimeter messendes Großformat „Before and after“ (2017, Acryl und Öl auf Leinwand). Fotos: Lagerwaard (3), Schreiner

 Zwei titellose Arbeiten von Brigitte Martin aus einer in den Jahren 2015 bis 2017 entstandenen, umfangreicheren Serie von ihr (Acryl auf PVC).

Zwei titellose Arbeiten von Brigitte Martin aus einer in den Jahren 2015 bis 2017 entstandenen, umfangreicheren Serie von ihr (Acryl auf PVC).

Bis 25. Juni. Di-Fr: 10-16.30 Uhr; Do: 10-18 Uhr; Sa: 14-16 Uhr; So: 14-18 Uhr.

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