Frauen-Folter, Frauen-Glück

Saarbrücken · Riesenbeifall bekam am Samstag der Tanz-Abend „Bohner_Celis“ am Saarbrücker Staatstheater. Er bringt ein bewegendes Stück der Tanzgeschichte mit einer beschwingten Uraufführung des Ballettchefs zusammen.

 Für Saarbrücken im Original rekonstruiert: „Die Folterungen der Beatrice Cenci“ von 1971. Fotos: Bettina Stöß

Für Saarbrücken im Original rekonstruiert: „Die Folterungen der Beatrice Cenci“ von 1971. Fotos: Bettina Stöß

Heiter trifft düster, eine weibliche auf einen männlichen Helden, ein altes, legendäres Stück auf eine krachneue Choreografie. Kontrast-Dramaturgie nennt man das, sie bietet Gewähr gegen Langeweile, ist aber nicht wirklich originell. Doch der Doppel-Abend "Bohner_Celis", der am Samstag im Saarländischen Staatstheater Premiere hatte, ist eine Bereicherung. Der erste Teil bringt das historisch verbriefte Familiendrama rund um das Folter- und Justizopfer Beatrice Cenci (1577-1599) auf die Bühne. Gerhard Bohner gab 1971 damit ein Aufbruchssignal ins neue deutsche Tanztheater, die "Cenci" wurde zur Ikone. Im zweiten Teil geht es um einen lustigen Vogel, um die Kasper-Figur des italienischen Volkstheaters. Die "Ballets Russes" und Igor Strawinskys neobarocke Ballett-Komposition machten "Pulcinella" berühmt; Picasso schuf 1920 Bühne und Kostüme. Nun ist der derbe Typ auch der Titelheld der jüngsten Choreografie des Saarbrücker Ballettchefs. Wobei wir bei Stijn Celis nicht nur einen Pulcinella treffen, sondern gleich acht, die Rolle ist auf das gesamte Männerensemble verteilt.

Die Jungs in knackengen T-Shirts und weit schwingenden Hosen treffen auf Mädels in duftigen Kleidchen, die sich dank Petticoats aufplustern und schließen wie Blütenkelche. Der Retro-Charme der 50er Jahre, dazu auch mal Commedia-dell'arte-Masken - warum, erschließt sich nicht. Kostümbildnerin Catherine Voeffray hat jedenfalls einen Augenschmaus hergerichtet, mit verblichenen, naturhaften Farben - ein Gobelin, ein blinder Spiegel. Dazu gibt es aber auch viel Frisches, vor allem bei den Frauen. Flieder, Lindgrün, Zitronengelb - hasch mich, ich bin der Frühling! Und genau so geht es dann zu: Celis zeigt Liebetriebeheiterkeit, vertanzt Paare, Passanten.

Schräg versetzte, strenge schwarze Torbögen rufen die Assoziation eines geometrisch akkurat angelegten Renaissance-Gartens auf; zugleich verweist Jan Messerli damit auf Picassos Bühnenbild mit kubistischem Torbogen-Motiv - eine glänzende Lösung. Unter einem bunt leuchtenden Himmel vollziehen sich Jagen und Hüpfen, Drehen und Wirbeln, diese Bewegungen kehren in den Ensemble-Szenen häufig wieder, selten sind langsamere Menuett-Passagen eingeflochten. Bei den Pas de deux herrscht viel Schmiegen und Wiegen, ein ausgelassenes, zärtliches, neckendes Miteinander. Sind die Männer allein, benehmen sie sich wie gockelnde Kraftmeier, sie joggen, springen herum wie die Teufel und marschieren wie die Zinnsoldaten. Die Tänzer bieten hier ein athletisches Fest.

Insgesamt wird Celis' Choreografie von einem Vorwärtsdrängen durchpulst, passgenau zu Strawinskys Musik. Das Staatsorchester unter Christopher Ward transportiert diesen mitreißenden Gestus bestens. So lädt uns dieser "Pulcinella" in eine vielleicht allzu niedliche bukolische Welt ein, voller Unschuld und Anmut. Wer wollte da widerstehen? Es sei denn, er hat was gegen die heile Mann-Frau-Welt.

Zu Hause bleiben muss man dann aber trotzdem nicht. Denn der erste Teil des Abends, "Die Folterungen der Beatrice Cenci" von Bohner (1936-1992), nehmen sich wie ein feministischer Kommentar aus zum romantischen Idealbild der Paarbeziehung im "Pulcinella". Jahrzehntelang war die "Cenci" von den Bühnen verschwunden. Durch die Unterstützung des "Tanzfonds Erbe" wurde das Stück jetzt erstmals wieder für Saarbrücken im Original rekonstruiert. Bohner mischt klassisches Repertoire mit Ausdruckstanz und modernen Elementen, erzählt stringent, wenn auch in Rückblicken. Gespielt wird in historischen Kostümen und in einem weißen Gefängnis-Käfig. Sprich: Formal kann uns diese "Cenci" nicht mehr verstören. Aber begeistern. Denn Bohner zeigt, wie man ein drastisches, hartes Thema mit Fingerspitzengefühl, mit Eleganz und Subtilität anpackt. Man wird nachdenklich: Welche - auch ästhetische - Verrohung wurde durchlebt, wenn wir heute bei der "Cenci" schockierendere Bilder vermissen?

Bohner hebt das individuelle Schicksal der Cenci auf eine allgemeine Ebene, legt Ursachen offen: die körperliche Überlegenheit und latente Gewaltbereitschaft der Männer. Sie wird herum geschleppt wie ein Teppich oder wie eine Schaukel hin und her geschubst, immer wieder sehen wir ihre Schenkel weit aufgegrätscht.

Dem Bewegungsmodus seiner Cenci, die in Saarbrücken von einem Gast, der großartigen Zuzana Zahradníková, gegeben wird, hat Bohner einen anrührenden flehenden Unterwerfungs-Gestus eingeschrieben. Denn alle Männer begegnen ihr mit Drohgebärden: Verehrer, Brüder, Folterer, ihr Vater. Laurent Guildbaud, ebenfalls ein Gast, hat tänzerisch einen eher statischen, undankbaren Part, wird auf den klotzigen Schläger reduziert. Noch im Tod krallt er sich an seiner Tochter mit krankhafter Gier fest - ein Psychopath. Generell entwickelt Bohner in der Offenlegung maroder familiärer und sexueller Strukturen eine seltene Meisterschaft: Wie sie alle ineinander verklammert sind, zärtlich oder voller Hass, wie sie sich ineinander bohren - selten führte uns Tanz dies so analytisch vor. Zusätzlich hält dann auch noch die Komposition von Gerald Humel, die er eigens für die "Cenci" kreierte, auf diesem hohen Niveau mit. Deshalb lässt sich mit Fug und Recht sagen, dass man in Saarbrücken ein Juwel der Tanzgeschichte wiedergefunden hat.

 Retro-Charme der 50er Jahre: eine Szene aus „Pulcinella“ von Stijn Celis.

Retro-Charme der 50er Jahre: eine Szene aus „Pulcinella“ von Stijn Celis.

Termine: 13., 25. und 31. Mai. Karten: Tel. (06 81) 309 24 86.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort