Dem Licht auf der Spur

Rouen/Le Havre · Zum dritten Mal feiert die Normandie in diesem Jahr „ihre“ Impressionisten. Denn Ende des 19. Jahrhunderts schätzte die damalige Maler-Avantgarde – allen voran Claude Monet und seine Freunde – den nordfranzösischen Landstrich wegen seines dramatischen Lichtes und der abwechslungsreichen Landschaft. In diesem Jahr steht das Portrait im Fokus der vielen Ausstellungen und Kunstprojekte – auch wenn es eher die Landschaften waren, die die Impressionisten faszinierten. Das Museum der Schönen Künste in Rouen beispielsweise gibt Einblicke ins Private der Maler. In Le Havre widmet man sich Eugène Boudin, einem der Väter des Impressionismus.

 Viel Himmel: „Marée basse à Etaples“ von Eugène Boudin (1886). Foto: Musée des Beaux-Arts Bordeaux

Viel Himmel: „Marée basse à Etaples“ von Eugène Boudin (1886). Foto: Musée des Beaux-Arts Bordeaux

Foto: Musée des Beaux-Arts Bordeaux

Berthe Morisot war eine Schönheit. Und eine Malerin. In Rouen blickt sie kokett von den Werbeplakaten für die Ausstellung impressionistischer Portraits im dortigen Kunstmuseum. Eduard Manet malte sie 1872, er hatte vermutlich ein Techtelmechtel mit seinem Model. Geheiratet hat seine Muse Berthe dann allerdings seinen Bruder. Wie es um die Familienverhältnisse und Freundeskreise bekannter Impressionisten wie Manet, Claude Monet, Auguste Renoir, Gustave Caillebotte und einer Reihe anderer Künstler und ihrer Mäzene und Agenten jener Zeit bestellt war, zeigt die sehenswerte Schau in Rouen. Der Betrachter erhält intime Einblicke in die Privatsphäre dieser interessanten Persönlichkeiten, die allesamt zur Bohème gehörten, sich trafen, miteinander feierten, arbeiteten, Liebschaften pflegten und gelegentlich auch untereinander heirateten. Auffällig sind die vielen "intellektuellen" Frauen-Portraits. Claude Monet malte Madame Monet lesend auf der Chaiselongue. Paul-César Helleu seine Ehefrau lesend im Gras liegend. Und Armand Guillaumin platzierte seine Liebste gar lesend in den Bild-Vordergrund, während er selbst im Hintergrund sitzt - für damalige Verhältnisse ein Affront! Die Frau als eigenständiges, gebildetes, denkendes Wesen! Wie Gustave Flauberts "Madame Bovary", die sich in dessen Roman den gesellschaftlichen Zwängen jener Zeit widersetzte und dafür bitter bezahlte, kamen solche Sujets in konservativen Kreisen damals zunächst nicht gut an. Das änderte sich erst später.

Ein ganzer Raum ist dem Thema Kindheit und Jugendzeit gewidmet. Hier hängen Portraits des Nachwuchses bekannter Impressionisten. Monet malte seinen Sohn auf dem Schaukelpferd, Berthe Morisot ihre Schwester an der Wiege ihres Babys. Intime, zärtliche Familien-Motive, die für uns heute selbstverständlich sind, damals aber die Konventionen der Portraitmalerei sprengten. Auch die Art und Weise, in der sich die Impressionisten gegenseitig portraitierten, war unkonventionell. In der Schau in Rouen bekommt der Betrachter einen guten Eindruck des Lebensgefühls jener Zeit. Er lernt die aufmüpfigen Protagonisten und Protagonistinnen des Impressionismus und seiner Förderer und Vorläufer kennen. Jedes Bild erzählt spannende, persönliche Geschichten.

Das Musée d'Art Moderne André Malraux in Le Havre besitzt eine der größten Sammlungen von Werken Eugène Boudins. Boudin stammte aus Honfleur, dem alten Hafen gegenüber von Le Havre. Dort gibt es auch ein Eugène Boudin-Museum. Monet, der ihn und andere Maler gerne in Honfleur in der heute zum Fünf-Sterne-Hotel-ausgebauten Ferme Saint Siméon traf, verehrte ihn als ,,Meister des Lichtes". Boudin war zeitlebens nie sehr erfolgreich, aber bewundert von seinen Maler-Freunden. Heute gilt er als einer der Väter des Impressionismus.

In Le Havre sind vor allem kleinformatige Studien von Boudin zu sehen, in denen er die Lichtverhältnisse am Meer und im Hafen einzufangen versucht. Er malte nicht im Freien - und dennoch gelang es ihm, Lichtstimmungen, Wetter, Wolkenformationen und Wellen beeindruckend festzuhalten. Seine dynamischen Studien sind zuweilen sehr abstrakt und weisen den Weg in die Moderne. Hat man die Zeit, sollte man unbedingt auch Boudins "Kühe" in der zweiten Etage betrachten. In dieser kleinformatigen Serie geht es nicht um das Motiv, sondern darum, die Tiere in unterschiedliches Licht zu setzen.

Serielles Malen, Farbexperimente, erste Abstraktionen und der Bruch mit den Zwängen klassischer Maltraditionen - die Impressionisten haben den Weg geebnet für die moderne Malerei. Die großen und kleinen, facettenreichen Ausstellungen des Festivals geben einen guten Einblick in die Bedeutung des Impressionismus als prägende Stilrichtung. Wer sich die Mühe macht und die Wege nicht scheut, kann bekannte Motive der Impressionisten in der Normandie wiederfinden. Die Holzplanken-Promenade von Deauville zum Beispiel, die Klippen von Étrétat, der Hafen von Honfleur, die Kathedrale von Rouen und natürlich Monets Gartenmotive, die in seinem Haus in Giverny entstanden sind. Man kann es besichtigen und einen der schönsten Gärten Europas kennenlernen, wenn auch mit Massen von Touristen. Das dortige Impressionismus-Museum widmet sich im Rahmen des Festivals dem spanischen Maler Joaquín Sorolla. Es fließt und plätschert, im Wasser spiegeln sich Bäume, das Licht ist warm. Fast glaubt der Betrachter, mitten in einer magisch-schönen Landschaft am Fluß zu stehen, die Frits Thaulow in naturalistischer Detailverliebtheit festgehalten hat. Der Norweger, der immer im Freien malte, feiert die Natur auf der Leinwand. Das Museum der Schönen Künste in Caen stellt im Rahmen des Impressionismus-Festivals diesen beeindruckenden, weit gereisten Maler vor, der in der Normandie lebte, in regem Austausch stand mit der Maler-Clique um Claude Monet und von dieser hoch geschätzt wurde. Der Cousin von Edvard Munch vertritt - wenn man so will - eine skandinavische Version des Impressionismus, die weniger abstrakt anmutet als die französische. In Caen sind norwegische und französische Motive zu sehen, geordnet nach Jahreszeiten in Kabinetten. Thalow gilt als ein Meister der Wasser-Malerei. Er malte Flüsse und Bäche, Seen und alle Motive rund um das Meer. Und vor allem: Er malte den Schnee seiner skandinavischen Heimat und fand dafür unzählige Nuancen von Weiß. Seine leuchtenden, keinesfalls bedrohlich oder trist wirkenden Schneelandschaften beeindruckten auch Monet.

Thalow war vor allem in seiner Komposition und Motivwahl seiner Zeit voraus. Seine Gemälde transportieren Atmosphäre und wirken wie fotografische Kompositionen. Immer ist in der wilden Natur eine menschliche Spur zu erkennen - als Ruderer, als Siedlung am Horizont, in Form von rauchenden Schloten. Schließlich wird in dieser sehr sehenswerten Ausstellung ein Bogen zum Symbolismus geschlagen, von dem Frits Thaulow gegen Ende seiner Karriere fasziniert war. Wie die Symbolisten malte er die Nacht, erleuchtet von künstlichem Licht.

Die Kuratoren haben den Gemälden Thaulows rund 20 Arbeiten seiner Zeitgenossen gegenübergestellt, zum Beispiel von Edvard Munch, Henri Le Sidaner, Max Liebermann und eben Claude Monet. So wird die wechselseitige Beeinflussung nachvollziehbar.

Und wer will, kann im letzten Raum der sehenswerten Schau selbst in ein Thaulow-Gemälde "steigen", sich wie im 19. Jahrhundert verkleiden und Fotos machen. Ein witzige Idee.

Zum Thema:

 Edouard Manet malte die Malerin Berthe Morisot, 1872. Foto: RMN-Grand Palais/ H. Lewandowski

Edouard Manet malte die Malerin Berthe Morisot, 1872. Foto: RMN-Grand Palais/ H. Lewandowski

Foto: RMN-Grand Palais/ H. Lewandowski
 Die Mühle malte Frits Thaulow 1892. Foto: Museum of Art Philadelphia

Die Mühle malte Frits Thaulow 1892. Foto: Museum of Art Philadelphia

Foto: Museum of Art Philadelphia

Auf einen Blick Das Festival läuft bis 26. September. Insgesamt gibt es rund 450 Veranstaltungen rund um das Thema in der gesamten Normandie, davon allein 145 Ausstellungen. esb Programm und sämtliche Adressen der Museen unter: www.normandie-impressioniste.fr

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