Ein Ritterschlag mit 33 Jahren

Als er 2008 mit seinem Debüt "Novemberkind" hier im Wettbewerb stand, erzählte Christian Schwochow, dass er wohl auch seinen nächsten mit seiner Mutter entwickele. Jetzt ist er damit im Wettbewerb. Und ja, das Buch habe er wieder mit ihr verfasst. Schwochow hat seit 2008 eine Entwicklung genommen, die ziemlich beispiellos ist

 Vor knapp zehn Jahren fing er als Moderator beim Ophüls-Festival an: Christian Schwochow. Foto: Iris Maurer

Vor knapp zehn Jahren fing er als Moderator beim Ophüls-Festival an: Christian Schwochow. Foto: Iris Maurer

Als er 2008 mit seinem Debüt "Novemberkind" hier im Wettbewerb stand, erzählte Christian Schwochow, dass er wohl auch seinen nächsten mit seiner Mutter entwickele. Jetzt ist er damit im Wettbewerb. Und ja, das Buch habe er wieder mit ihr verfasst. Schwochow hat seit 2008 eine Entwicklung genommen, die ziemlich beispiellos ist. Für nicht wenige Regisseure wird der zweite Film zum Menetekel: Weil sie ihr Herzblut aufgebraucht haben. Weil sie nach der umhüteten Akademiezeit mit ihren hehren Kunstfilmambitionen im rauen Filmgeschäft scheitern. Schwochow dagegen hat im Herbst seinen dritten Film abgedreht. Uwe Tellkamp preisgekrönten Roman "Der Turm" als ARD-Zweiteiler. Produziert von Nico Hoffmann, der in Ludwigsburg sein Professor war und besetzt mit Jan Josef Liefers, Götz Schubert, Claudia Michelsen und Nadja Uhl. 80 Rollen, 50 Drehtage, neun beteiligte ARD-Redaktionen, 6,7 Millionen Euro teuer. Eine Art Ritterschlag, der anderen oft erst als Alterswerk zuteil wird. Wie kam das?Es fing damit an, dass sein Debüt sagenhafte 200 000 Zuschauer fand. Das öffnete viele Türen. Weil "Novemberkind" im Ostdeutschland der Nachwendezeit spielte, bot man ihm danach 20 DDR-Stoffe an. So stereotyp tickt die Branche. Schwochow (33) lehnte alle ab. Weil er auf die mit seiner Mutter ("sie hat einen ähnlichen Blick auf die Welt wie ich") entwickelte "Unsichtbare" vertraute, konnte er es sich leisten. Und weil er nicht verheizt werden mochte. Sein Zweitfilm lief bereits auf 20 Festivals von Frankreich bis Indien. Er selbst hat ihn nur einmal im Kino gesehen, im Juli bei der Uraufführung beim Filmfestivals Karlovy Vary. "Ich bin da einfach immer noch zu nervös." Weil er ein Perfektionist ist, der immer noch Fehler sieht. Er sei "wahnsinnig ehrgeizig", sagt Schwochow von sich.

Eineinhalb Jahre dauerte alleine das Casting. Die Hauptfigur Fine, die er als erstes besetzen wollte, suchte er am längsten: Erst nachdem er Stine Fischer Christensen in Susanne Biers "Nach der Hochzeit" gesehen und sie zugesagt hatte, kam alles ins Rollen. Schwochow wusste, dass er seinen Figuren näher sein wollte als im Debüt, dass der Gestus des Films, weil sein Sujet das Theater ist, sehr viel körperlicher, sein "Energielevel" radikaler sein sollte, auch später im Schnitt.

Für "Die Unsichtbare", diesen das Zerbrechen einer jungen Schauspielerin an der Unvereinbarkeit privater und theatraler Rollenmuster schildernden Theaterfilm, nutzten er und seine Mutter ihren Bühnenerfahrungsschatz. Sie studierte zu DDR-Zeiten Schauspielregie und führte später in Hannover eine Laienspielgruppe. Er hospitierte am Deutschen Theater bei Dimiter Gotscheff, saß viel in Theaterkantinen herum, nahm in New York einen Schauspielkurs, besprach sich mit befreundeten Schauspielern. Als sie den Film sahen, hätten sie ihre Welt wiedererkannt. Weil er Klischees zeigt, die wahr sind. Als sich Fine im Film bei den Proben ausziehen soll, sagt einer ihrer Kollegen zu ihr: "Mach schon. Das bist doch nicht du." Nicht mal ihr Körper gehört nur ihr. Es sei, findet Schwochow, der Beruf der Schauspielern, "für uns zu leiden und sich manchmal hinter nichts verstecken zu können."

 Vor knapp zehn Jahren fing er als Moderator beim Ophüls-Festival an: Christian Schwochow. Foto: Iris Maurer

Vor knapp zehn Jahren fing er als Moderator beim Ophüls-Festival an: Christian Schwochow. Foto: Iris Maurer

Heute glaubt er, dass er den "Turm" wohl nie hätte verfilmen dürfen, wenn er nach seinem Debüt ein fadenscheiniges Drehbuch verfilmt hätte. Sein nächstes ist in Bearbeitung, wieder mit der Mutter. Eine Adaption von Julia Francks Roman "Lagerfeuer", der Ende der 70er in einem Notaufnahmelager quasi im deutsch-deutschen Niemandsland spielt. Er selber aber bleibt auf dem Teppich. "Kann man sich das als junger Familienvater angucken?", fragt er am Ende. Er ist seit acht Monaten Vater und meint den Film "Michael" über einen Päderasten. Regisseure, die ihre Allüren pflegen, sehen anders aus. Und fragen auch anders.

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