Das große Luftholen nach dem Skandal

Sibylle Lewitscharoff? Da fällt einem sofort der Skandal um ihre Dresdener Rede über „Tod und Geburt“ im Frühjahr dieses Jahres ein. Von Skandal kann bei ihrem aktuellen Roman, „Killmousky“, allerdings keine Rede sein. Es ist ein lupenreiner, wenn auch harmloser Detektivroman geworden.

 Lewitscharoff im Mai an der Saar-Uni bei einer Lesung. Foto: Maurer

Lewitscharoff im Mai an der Saar-Uni bei einer Lesung. Foto: Maurer

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Man kann beruhigt sein: Im neuen Roman von Sibylle Lewitscharoff geht es weder um künstliche Befruchtung noch um "Halbwesen", er spielt weder in den Labors der Reproduktionsmediziner noch in den Lebensborn-Anstalten der Nazis. Die Themen Sterben und Sterbehilfe, mit denen Lewitscharoff ihre Dresdener Gedanken einleitete, kommen hier nur in einem auf andere Weise verdächtigen Sinne vor, nämlich als Mordfall.

Geradezu putzig beginnt ihr neues Buch, mit dem Schnurren eines Katers. Er tritt in das Leben des frühpensionierten Kommissars Richard Ellwanger, der vom Dienst suspendiert worden ist, nachdem er einen Verdächtigen ein wenig zu hart ins Gebet genommen hat. Eines Abends sitzt der Kater maunzend auf Ellwangers Terrasse; den Namen für den anhänglichen Besucher borgt er sich aus der Krimiserie "Barnaby", die kurz zuvor im Fernsehen lief: "Killmousky". "Killmousky" heißt auch der Roman von Lewitscharoff, wenngleich der Kater eine bescheidene Nebenrolle spielt und vielleicht mehr eine ironische Anspielung auf den Löwen aus ihrem letzten Roman "Blumenberg" darstellt.

Ein ungewöhnliches Buch: Es ist ein lupenreiner Detektivroman, geschrieben in einer äußerst reduzierten Sprache - und das bei einer Autorin, die für ihre sprachliche Exaltiertheit, ihre Metaphernfreude und Übertreibungsgesten bekannt und - spätestens seit Dresden - auch berüchtigt ist. Das klassische Genre verlangt nach einem klassischen Verbrechen und nach Wiederherstellung der vom Verbrecher gestörten Ordnung. Lewitscharoff weicht von diesem Muster keinen Millimeter ab - ein zunächst überforderter Private Eye, ein mysteriöser Todesfall, ein paar undurchsichtige Spuren, die in die Vergangenheit der Verdächtigen weisen, ein fremdes Milieu. Lewitscharoff fackelt nicht lange: Der aussortierte Kommissar, der sich zunächst sorgt, wie er seine Zeit totschlagen soll, kommt zu seinem ersten Fall als Privatdetektiv. Die von ihm heimlich angeschwärmte Vermieterin, die in New York und München zu Hause ist, bringt ihn auf die Fährte und verschafft ihm einen Auftrag.

Eine junge Frau aus den besseren Kreisen New Yorks hat sich das Leben genommen - zumindest besagt das der Polizeibericht. Die Familie aber zweifelt an dieser Version. Sie hat den blendend aussehenden, parvenühaften und vom Tod seiner Frau profitierenden Gatten im Verdacht, beim tödlichen Sturz nachgeholfen zu haben. Wie ein Westentaschen-Marlowe beginnt Ellwanger mit seinen Ermittlungen. Ein Humphrey Bogart aus dem Geiste Raymond Chandlers ist dieser Ellwanger nicht. Aber unterschätzen sollte man ihn auf keinen Fall. Mit dem hellwachen Blick des Fremden entdeckt er die Risse in einer geheimnisvollen Geschichte, die in New York ihren Anfang nimmt und ihn schließlich zurückführt an den eigenen Geburtsort Gerabronn. Spuren werden nach und nach zu Indizien, Indizien zu Beweisen.

In einem Showdown löst sich schließlich alles auf. Ausgeplaudert seien hier weder die Wendungen des Falls noch der Täter - denn auch davon lebt "Killmousky" wie jeder Kriminalroman, dass man zwar frühzeitig ahnt, wo der Hase läuft, aber doch nicht wohin. Sibylle Lewitscharoff scheint die Arbeit am Krimi Freude bereitet zu haben. Sie spielt unbefangen mit dem Trivialen, montiert kleine Motive aus den Nachrichten der letzten Jahre in die Handlung, scheut sich nicht vor Zitaten aus TV-Krimis und blendet Bilder des Film Noir in ihre Geschichte ein. Ellwanger ist zwar kein Robert Mitchum , aber eine Charlotte Rampling-hafte Femme fatale legt ihm Lewitscharoff doch ins Bett. Der stoffelige Kommissar und die Upper Eastside-Blondine - größere Gegensätze sind kaum vorstellbar.

Man verrät nicht zu viel, wenn man andeutet, dass er seinen ersten Job als Privatdetektiv mit Bravour zu Ende bringt. Der überraschende, ein wenig harmlose Genreausflug Lewitscharoffs ist für die Autorin möglicherweise ein willkommenes Luftholen nach ihrer skandalisierten Rede.

Sibylle Lewitscharoff : Killmousky. Suhrkamp Verlag , 223 Seiten, 19,95 Euro.

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