Interview Luisa Neubauer „Man ist vor RWE für einen Deal eingeknickt“

Die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer spricht über den vorgezogenen Kohleausstieg im Rheinischen Revier und den Abschied von fossilen Energien. 

 Klimaaktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future.

Klimaaktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future.

Foto: dpa/Paul Zinken

Frau Neubauer, durch den vorgezogenen Braunkohleausstieg in NRW sollen 280 Millionen Tonnen Kohlendioxid nicht mehr verfeuert werden. Mehr als ein Drittel dessen, was in Deutschland 2021 ausgestoßen wurde. Ist das nicht ein Schritt, der sich sehen lassen kann?

NEUBAUER Der Kohleausstieg bis 2030 steht schon im Koalitionsvertrag der Ampel. Hier wurde also nichts vorgezogen, sondern wenn überhaupt eine Koalitionsvereinbarung erfüllt. Gleichzeitig wurde hier ein Deal mit RWE eingegangen, von dem man nicht sicher sein kann, dass er überhaupt eingehalten wird.

Was lässt Sie daran zweifeln?

NEUBAUER Es gibt keinen Grund, ein Unternehmen wie RWE die Regeln über unsere Energiewende bestimmen zu lassen. Alles, was wir bisher über RWE und seine Geschäfte wissen, zeigt, dass dort keinerlei Bereitschaft besteht, sich konstruktiv an der Energiegerechtigkeit zu beteiligen. Die Bundesregierung wäre hier gefragt gewesen, harte Regeln und Grenzen zu setzen und die Menschen und Dörfer zu schützen, statt sich auf einen Deal mit einem solchen Konzern einzulassen.

Zwei Kraftwerksblöcke mit einer Leistung von 1200 Megawatt sollen 15 Monate länger laufen, dafür gehen insgesamt 3000-Megawatt-Blöcke acht Jahre früher vom Netz. Was ist daran so unfair?

NEUBAUER Entscheidend ist doch, was am Ende herauskommt. Es wurde jetzt das Ok dafür gegeben, viermal mehr Kohle zu verfeuern als wir noch verbrennen können, um Klimaversprechen und das deutsche 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Die zentrale Botschaft ist: Man ist vor RWE für einen Deal eingeknickt, der die selbstgesteckten Klimaziele verrät. Und dazu bekommt RWE über zwei Milliarden Euro an Steuergeldern, obwohl der Konzern im ersten Halbjahr 2022 so hohe Gewinne gemacht hat, dass einem Hören und Sehen vergeht. Das ist völlig absurd.

Gas fällt weg, weil Russland seine Lieferungen eingestellt hat. Was wäre denn die Alternative anstelle der Kohle, um die Versorgungssicherheit zu sichern?

NEUBAUER Es muss jetzt alles dafür getan werden, um den Bedarf an fossilen Energien zu reduzieren. Dazu muss jede schnell wirksame Maßnahme ergriffen werden, also Tempolimit, schnelle Sanierungen, Verbote auf Energieverschwendung und so weiter. Dass Christian Lindner in dieser Lage erfolgreicher das Nein zum Tempolimit verteidigt als die Grünen Lützerath, ist schon sehr absurd.

Wie blicken Sie auf das Dilemma, dass man in der akuten Krise auf fossile Energien angewiesen ist, gleichzeitig aber schnell weg von den Fossilen muss?

NEUBAUER Wir erleben gerade, was passiert, wenn Destruktion und Krisen darüber entscheiden, wie wir die Energiewende organisieren. Das sind die erschreckenden Folgen einer Verdrängungs- und Blockadepolitik. Mehr denn je schreit diese Zeit danach, vorausschauende Pläne zu machen, die unseren Klimaversprechen gerecht werden und Sicherheit schaffen. Stattdessen sehen wir den fast schon hysterischen Versuch, weltweit so viele fossile Energien einzukaufen wie möglich. Das sind vielfach leere Investitionen, weil sie weder mit den Klimazielen noch mit der Entwicklung auf den Energiemärkten vereinbar sind.

Sie haben Kanzler Scholz kürzlich einen „fossilen Kanzler“ genannt. Angesichts eines vorgezogenen Kohleausstiegs, der Pläne zum Ausbau der Erneuerbaren, neuer Investitionen in den Biodiversitätsschutz – ist das wirklich gerechtfertigt?

NEUBAUER Als viertgrößter Verursacher der Klimakrise müsste Deutschland zeigen, dass wir wirklich umsteuern. Aber seit Scholz Kanzler ist, hat er die G7-Staaten dazu gebracht, die Klimaziele zu unterwandern, indem man ausländische fossile Finanzierungen befürwortet. Er hat im Senegal neue Gasunterstützung aufgebaut, damit in vielen Jahren möglicherweise Gas zu uns kommen kann. Beim Tempolimit oder dem Stopp des Autobahnausbaus fehlt jede Bereitschaft, stattdessen werden LNG-Terminals in Lichtgeschwindigkeit aufgebaut. Niemand bestreitet, dass auch gute Sachen gemacht werden. Doch es geht bei der Klimakrise nicht um einzelne schöne Projekte, sondern darum, was unter dem Strich herauskommt. Und hier arbeitet Scholz nicht am Ende der fossilen Ära, sondern verlängert diese.

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