Gültige DDR-Rekorde als Mahnmale für die Zukunft

Stuttgart. Als Marita Koch in Canberra ins Ziel lief, kamen einige Läuferinnen gerade erst aus der letzten Kurve. Sie riss die Arme hoch an diesem 6. Oktober 1985 und klatschte in die Hände, ihre Zeit von 47,60 Sekunden über 400 Meter hat seitdem keine Frau unterboten

Stuttgart. Als Marita Koch in Canberra ins Ziel lief, kamen einige Läuferinnen gerade erst aus der letzten Kurve. Sie riss die Arme hoch an diesem 6. Oktober 1985 und klatschte in die Hände, ihre Zeit von 47,60 Sekunden über 400 Meter hat seitdem keine Frau unterboten. 20 Jahre nach der Wiedervereinigung stammen noch immer 21 deutsche Leichtathletik-Rekorde in den 47 olympischen Disziplinen von Athleten der ehemaligen DDR. Die Fabelzeit der heute 53 Jahre alten Rostockerin ist der bekannteste von ihnen und einer von vier bis heute gültigen Weltrekorden.

Während Koch darauf "auch nach 25 Jahren noch ein bisschen stolz ist", hat der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) diese Bestwerte nie streichen können. Sie stehen unter Doping-Verdacht und sind für den DLV-Vizepräsidenten Günther Lohre deshalb "weniger Rekorde, als eher Mahnmale". Dieses Thema, erklärt er, "stört den Vereinigungs-Prozess noch immer".

Dabei hat der DLV schon einiges versucht, um die DDR-Altlasten aus seinen Statistiken zu verbannen. 1999 etwa scheiterte er beim Kongress des Weltverbandes mit seinem Vorstoß, zu Beginn des neuen Jahrtausends auch neue Weltrekordlisten einzuführen. "Die internationalen Verbände hatten damit ein Problem, auch weil Klage-Drohungen von betroffenen Athleten im Raum standen", erläutert Lohre.

Der DLV hat seine offizielle Statistik mittlerweile um eine Präambel erweitert. Darin heißt es: "In der nachfolgenden Rekordliste stehen nach heutigen Erkenntnissen einige Rekordhalter unter dem Verdacht, während ihrer leistungssportlichen Laufbahn gegen die Antidoping-Regeln verstoßen zu haben. (…) Eine Löschung solcher Rekorde ist aus juristischen Gründen nicht möglich."

Dabei gibt es belastendes Material genug. In ihrem Buch "Doping. Von der Forschung zum Betrug" hat Brigitte Berendonk 1991 auf der Basis von Stasi-Akten und DDR-Dissertationen rekonstruiert, welche Dosen Athleten wie Koch, Heike Drechsler oder Jürgen Schult wann verabreicht bekamen. "Zur Aberkennung eines Rekordes brauchen wir aber einen Kausalnachweis, dass bei dieser Leistung Doping im Spiel war", sagt Verbands-Präsident Clemens Prokop.

Da der kaum zu erbringen ist, gehen ehemalige DDR-Sportler mit dem Thema unterschiedlich um. Schult "will nichts dazu sagen", obwohl er mittlerweile als Diskus-Bundestrainer arbeitet. Einen "großen Schritt nach vorn" nennt Lohre das Beispiel der ehemaligen Staffelläuferinnen Ines Geipel und Gesine Tettenborn, die ihre Namen aus den Rekordlisten haben streichen lassen.

Marita Koch bestreitet bis heute, Dopingmittel genommen zu haben. Sie hat eine andere Erklärung. "Unser Saisonaufbau war damals ganz anders. Wir haben uns gezielter auf weniger Jahreshöhepunkte vorbereitet." Dass ihre 47,60 Sekunden auf ewig unerreichbar sind, glaubt die Ehrenvorsitzende des 1. LAV Rostock nicht. dpa

Auf einen Blick

20 Jahre nach der Wiedervereinigung stammen 21 deutsche Leichtathletik-Rekorde in den olympischen Disziplinen noch immer von Sportlern der ehemaligen DDR. Die Bestmarken von Jürgen Schult (Diskus), Gabriele Reinsch (Diskus), Marita Koch (400 Meter) und der 4x100-Meter-Staffel der Frauen sind bis heute auch als Weltrekorde gültig. (mit * markiert)

Männer: 100 Meter: Frank Emmelmann 10,06 Sek. (22.9.1985/Berlin); 400 Meter: Thomas Schönlebe 44,33 Sek. (3.9.1987/Rom); Marathon: Jörg Peter 2:08:47 Std. (14.2.1988/Tokio); 4x100 m: DDR-Staffel 38,29 Sek. (9.7.1982/Karl-Marx-Stadt); 4x400 m: DDR-Staffel 2:59,86 Min. (23.6.1985/Erfurt); Weitsprung: Lutz Dombrowski 8,54 m (28.7.1980/Moskau); Kugelstoßen: Ulf Timmermann 23,06 m (22.5.1988/Chania); Diskus: Jürgen Schult 74,08 m (*) (6.6.1986/Neubrandenburg); Hammerwurf Ralf Haber 83,40 m (16.5.1988/Athen).

Frauen: 100 Meter: Marlies Göhr 10,81 Sek. (8.6.1983/Berlin); 200 Meter: Marita Koch 21,71 Sek. (10.6.1979/Karl-Marx-Stadt), Heike Drechsler (29.6.1986/Jena); 400 Meter: Marita Koch 47,60 Sek.(*) (6.10.1985/Canberra); 800 Meter: Sigrun Wodars 1:55,26 Min. (31.8.1987/Rom); 1500 Meter: Christiane Wartenberg 3:57,71 (1.8.1980/Moskau); 100 m Hürden: Bettine Jahn 12,42 Sek. (8.6.1983/Berlin); 400 m Hürden: Sabine Busch 53,24 Sek. (21.8.1987/Potsdam); 4x100 m: DDR-Staffel 41,37 Sek.(*) (6.10.1985/Canberra); 4x400 m: DDR-Staffel 3:15,92 Min. (3.6.1984/Erfurt); Weitsprung: Heike Drechsler 7,48 m (9.7.1988/Neubrandenburg); Kugelstoßen: Ilona Slupianek 22,45 m (11.5.1980/Potsdam); Diskuswurf: Gabriele Reinsch 76,80 m (*) (9.7.1988/Neubrandenburg). dpa

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