Heftiger Streit um Revolution der Rekorde

Berlin/Paris · In der Leichtathletik sollen die Bestmarken der Vergangenheit gestrichen werden. Viele stammen aus der Hoch-Zeit des Dopings.

 Mike Powell stellte 1992 einen Weltrekord im Weitsprung auf. Foto: dpa

Mike Powell stellte 1992 einen Weltrekord im Weitsprung auf. Foto: dpa

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(sid) "Respektlos", "verletzend", ein "Schlag ins Gesicht": Die geplante Reform der Rekordlisten hat die Leichtathletik-Welt in Aufruhr versetzt und teilweise heftige Kritik hervorgerufen. Vor allem die direkt betroffenen Athleten fühlen sich ungerecht behandelt und mit Dopingsündern in einen Topf geworfen.

Fest steht: Die Leichtathletik steht vor einer Revolution. Mit einem tiefgreifenden Schnitt versucht die Sportart, im Kampf gegen Doping weiter an Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Ab dem 1. Januar 2018 könnte es deswegen neue Rekordlisten geben, alte Bestmarken würden nicht mehr gelten. Einen entsprechenden Reformplan befürwortete das Council des europäischen Verbands EAA am vergangenen Wochenende für Europarekorde. Im August könnte der Weltverband IAAF diese Vorschläge für Weltrekorde übernehmen. IAAF-Präsident Sebastian Coe hat bereits angekündigt, den Plan zu unterstützen.

"Es geht darum, dass man nicht jeden Rekord einzeln prüft, sondern einen Strich drunter macht und neu anfängt", sagte Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Der 60-Jährige saß selbst in der zuständigen Kommission der EAA, die in den letzten Monaten die Empfehlungen ausarbeitete. Pierce O'Callaghan, der Kommissions-Vorsitzende, verteidigte gestern die Vorschläge. "Es tut mir leid für diese Athleten, wir haben nicht die Absicht, ihr Ansehen zu beschädigen", sagte der Ire.

"Ich finde es falsch, eine Liste von Grund auf zu überarbeiten", sagte dagegen Hallen-Europarekordler Sebastian Bayer. Der Weitspringer hatte 2009 in Turin und 2011 in Paris den EM-Titel in der Halle gewonnen, 2012 triumphierte er in Helsinki im Freien. In Turin stellte Bayer mit 8,71 Metern die europäische Bestmarke auf. "Wenn man sieht, was man alles geopfert hat, um diese Leistung zu bringen - und dann wird die mit dem Rotstift ausradiert. Für Sportler wie mich, die nie in Kontakt zu Doping gekommen sind, wäre das wie ein Schlag ins Gesicht", sagte der 30-Jährige.

Hintergrund der Rekord-Diskussion ist die Skepsis, die vielen aktuellen Bestmarken entgegengebracht wird. Eine ganze Reihe der Rekorde wurde in den Hochzeiten des Anabolika-Dopings aufgestellt. "Bei objektiver Betrachtung ist eine Vergleichbarkeit der Leistungen nicht mehr gegeben", sagte Prokop.

In Zukunft sollen für Rekorde auch neue Kriterien gelten. Unter anderem muss der Athlet im Vorfeld eine Mindestanzahl von Trainingskontrollen absolviert haben, die Dopingproben beim Wettbewerb sollen für Nachtests zehn Jahre lang eingefroren werden.

Die bisherigen Bestleistungen will die EAA in eine Art historische Liste übertragen, aber nicht mehr als aktuelle Rekorde führen. Auf europäischer Ebene würde dies fast ein Dutzend deutsche Athleten betreffen, zudem stünden vier "deutsche" Weltrekorde zur Diskussion.

Deutlich kritisierte Weitsprung-Weltrekordler Mike Powell die Pläne. "Ich habe bereits meinen Rechtsanwalt kontaktiert", sagte der 53-Jährige, der bei der WM in Tokio 1991 mit 8,95 Metern Gold gewann. Sein Weltrekord sei ehrlich zustande gekommen, die Vorschläge nennt er "respektlos".

Ähnlich äußerte sich auch Al Joyner, Witwer der 100- und 200-Meter-Weltrekordhalterin Florence Griffith-Joyner. Die Bestmarken von "Flo-Jo" von 10,49 Sekunden (100 Meter) und 21,34 (200 Meter) aus dem Jahr 1988 sind bis heute unerreicht. "Das entehrt meine Familie. Ich werde mich mit Händen und Füßen dagegen wehren", sagte er dem Wall Street Journal.

Zustimmung gab es von der Niederländerin Dafne Schippers. "Jeder weiß, dass die 1980er Jahre nicht die besten Jahre der Leichtathletik waren. Und viele Rekorde sind aus dieser Zeit", sagte die Weltmeisterin und Europarekordlerin über 200 Meter der Daily Mail: "Es wäre gut, wenn wir diese Zeit hinter uns lassen könnten."

Zum Thema:

Vier deutsche Weltrekorde vor der Streichung? Ein revolutionärer Plan könnte in der internationalen Leichtathletik zur Streichung der bisherigen Bestmarken führen. Folgende Weltrekorde deutscher Athleten wären davon betroffen: Diskuswurf: Jürgen Schult (DDR/Schwerin), 74,08 Meter, geworfen am 6. Juni 1986 in Neubrandenburg. Gabriele Reinsch (DDR/Halle/Saale), 76,80 Meter, geworfen am 9. Juli 1988 in Neubrandenburg. 400 Meter: Marita Koch (DDR/Rostock), 47,60 Sekunden, am 6. Oktober 1985 in Canberra. Weitsprung (Halle): Heike Drechsler (DDR/Jena), 7,37 Meter, gesprungen am 13. Februar 1988 in Wien.

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