"Wir wünschen ihnen etwas mehr Sonnenschein"

Ich würde sie ja am liebsten alle einladen", sagt Mike Neersen ein paar Tage, nachdem er, seine Frau Sandra und die beiden Töchter Jasmin (neun) und Katharina (sieben Jahre) nach einem dreiviertel Jahr das Ausweichquartier verlassen haben und wieder ins alte Haus gezogen sind

Ich würde sie ja am liebsten alle einladen", sagt Mike Neersen ein paar Tage, nachdem er, seine Frau Sandra und die beiden Töchter Jasmin (neun) und Katharina (sieben Jahre) nach einem dreiviertel Jahr das Ausweichquartier verlassen haben und wieder ins alte Haus gezogen sind. "Alle", das sind die vielen Spender und die Helfer, die den Umbau des Hauses der Familie mit den beiden schwerst behinderten Töchtern in Hostenbach möglich machten. Da war das Märchen wahr geworden. Eine riesige Zahl von Hilfsangeboten, Geld, Material, Arbeitsleistung, hatte nach einem SZ-Bericht aus einem maroden Haus in Hostenbach ein zweckmäßiges Zuhause für die jungen Eltern und ihre beiden schwerst behinderten Töchter gezaubert. So was, sagt Mike Neersen, hätte er sich nicht träumen lassen.Jetzt sagt er das, Anfang März. Im Dezember war er noch der Verzweiflung nah gewesen. So groß die Hoffnung, zu Weihnachten wieder im eigenen Haus sein zu können.

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Aber die Baustelle stockte. Dann rückte ein Trupp Soldaten aus der Graf-Werder-Kaserne in Saarlouis an. Hauptmann Ralph Kunz, der von der Hilfsaktion erfahren hatte: "Nach unserem Gespräch habe ich die Spezialisten wie Fliesenleger, Schreiner, Tischler, Elektriker angesprochen und die Soldaten haben sich spontan bereit erklärt. Abends nach Dienst oder am Wochenende und kurz vor und nach Weihnachten und über den Jahreswechsel - das war ihnen egal. Schade, dass wir nicht früher von der Aktion gewusst haben." Vor allem: Sie können fliesen.

Es geht jetzt Schlag auf Schlag. Die Soldaten werden zu Rettungsengeln. Wie schon vorher der Stuckateurmeister Markus König aus Wadgassen. Er schaute sich die Baustelle an, nickte: Das mache ich euch. Aber das Material zahlt ihr." In zehn Tagen war er fertig, ein neuer Innenputz im ganzen Haus. König heute: "Als Familienvater mit zwei gesunden Kindern war es mir ein Bedürfnis, gerade dieser Familie, die nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens steht, zu helfen. Wir wünschen Familie Neersen in ihrem neuen Heim etwas mehr Sonnenschein."

Oder der Elektro-Unternehmer Thomas Graber aus Saarlouis: "Schicken Sie mir die Liste mit dem, was sie brauchen an Steckdosen und Elektromaterial." Und ruft zwei Stunden später wieder an: "Sie können die Sachen beim Großhändler abholen. Die Rechnung bezahle ich."

Auch Gaby Wilhelm, Inhaberin eines Peugeot-Hauses in Wadgassen, hatte den Artikel gelesen. "Ich bin einfach mal hingefahren und habe mir das Haus angeschaut. Ich kam zurück und dachte: Was jammern wir doch auf hohem Niveau! Wir wissen gar nicht, wie gut es uns geht." Zu ihrem 60. Geburtstag bat sie um Spenden für die Familie. 4500 Euro kamen zusammen, die sie verdoppelte, und es reichte für einen einfachen Peugeot Partner. Sandra macht nun ihren Führerschein.

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Zwischendurch wird das Geld knapp. Manche Arbeiten lassen sich nicht ehrenamtlich organisieren, da geht ein Auftrag an Firmen raus. Geschäftsleute aus Wadgassen stiften 1000 Euro. Und weiter geht's.

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Jetzt, um den Jahreswechsel, waren so viele Menschen auf der Baustelle. Josef Morschett, der Opa von Mike, selbst krank, setzt mit einem Kumpel Türen, baut eine neue Falltreppe ein zum Speicher. Damit man überhaupt durchkommt auf dem kleinen, oberen Flur. Er kann sich kaum bewegen - aber er kriegt's hin. Auch Sandras Schwester Heike Neersen packt mit an. Und je weiter die Zeit voranschreitet, umso energischer greift auch die Familie selbst ein. Mike hatte sowieso schon, zusammen mit einem Trupp von Freunden eines anderen Helfers, von Beruf Soldaten, das marode Flachdach über der alten Küche eingerissen. Ein neues setzte die Firma Becker drauf, vermittelt vom Architekten Marcel Giebel.

Unentwegt räumt Mike nun Schutt aus dem Haus. Jetzt, gegen Ende, telefonieren die Neersens selbst, suchen Leute, die die letzten Arbeiten machen. Als dann endlich der Lkw kommt, der die Sachen vom Ausweichquartier wieder zurück ins alte Haus bringt, da haben sie schon fast alles selbst umgeräumt.

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Zwei Wege führten die Helfer zusammen: Die einen haben die Familie kennen gelernt und sagen spontan Hilfe zu. Meist kam der Kontakt über das Helferteam zustande, vor allem Harald Ley und Isabelle Brack. Die anderen kommunizierten über das soziale Netzwerk im Internet, "wkw", "Wer kennt wen?". Wie ein Logbuch der Hilfsaktion lesen sich die Einträge in wkw. Das sind kurze, schnell geschriebene, oft ziemlich hemdsärmelige Sätze. Jeder, der sich in einer Gruppe anmeldet, kann mitlesen und antworten. Hier ein paar Eindrücke aus "wkw":

"Sandra und Mike Neersen: Wir wollten uns hier mal bedanken, dass so viele helfen. Aber bitte nicht streiten, da es auch uns sehr belastet, wenn sich hier welche so anzicken, es tut sehr weh. Wir sind ja froh, dass so viele uns helfen, und dass ihr uns so unterstützt: nur so fühlen wir uns nicht wohl dabei und haben auch ein schlechtes Gewissen."

Die Aktion ging eben nicht ohne Debatten und manchmal auch Meinungsverschiedenheiten ab.

Verena schreibt: "Huhu, was ist denn überhaupt noch zu machen? Ich bin ja handwerklich relativ talentfrei, kann aber immerhin streichen und tapezieren." Sandra und Mike Neersen antworten: "Oh je, noch ne Menge, Trockenausbau, Laminat verlegen, fliesen und einen Durchbruch. Vielleicht ist hier ja jemand, der uns helfen kann, da wir nur noch acht Wochen Zeit haben." Thorsten: "Ich habe soeben 10 Euro gespendet ... wieder ein Stück näher am Ziel." Und Christian: "Hallo Isa, ich habe noch ein Fenster hier. Ich weiß, du bist nicht der Fensterbauer, aber wenn es von der Größe her passt, ist es hiermit gespendet. Swen: "Wenn noch was gebraucht wird in Sachen Bad, Heizung oder Sanitär, einfach mal Bescheid geben, Dienstleistung wird auch gerne bereitgestellt."

Isabelle: "Achso . .. .damit wäre das Material fürs Bad komplett !!!!Juhuuuu!!!!. "

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Isabelle Brack, Unternehmerin für Heizung und Sanitär aus Neunkirchen, war vom ersten Moment an dabei. Sie hatte auch über "wkw" von der Aktion erfahren. Sie und ihre Leute legten an den ersten Wochenenden den Grundstein für alles Weitere: "Es war alles in allem ein Erlebnis, zum einen die positive Überraschung, dass so viele Firmen mitgemacht haben, aber auch die Enttäuschung, dass viele, die zuerst schnell dabei waren, dann doch keinen Finger gerührt haben. In der ganzen Zeit gab es Höhen und Tiefen - aber letztendlich hat doch alles gepasst."

Und Waltraud schrieb nach dem Umzug der Familie zurück nach Hause in "wkw" an Harald Ley: "Lieber Harald, ich habe Tränen in den Augen. Na endlich! Wunder gibt es immer wieder. Hier ist eins wahr geworden. Euch allen Glückwunsch und den Neersens viel Glück und Freude mit ihren Kindern."

Meinung

Ein bisschen Sonnenschein

Von SZ-RedakteurJohannes Werres

Das Echo auf die Berichterstattung über das Leben vonFamilie Neersen aus Wadgassen war überwältigend. Hunderte Menschen haben in irgendeiner Form mitgewirkt: durch kleine und große Spenden, in der Organisation von Benefizveranstaltungen, auf der Baustelle. Wer Neersens kennen lernte, war beeindruckt von ihrer Entschlossenheit, trotz ihrer wirtschaftlich schwierigen Lage mit ihren beiden kranken Töchtern leben zu wollen. Obwohl Mutter Sandra im Ausweichquartier mit den Kindern beschäftigt war, Vater Mike als Leiharbeiter auf Schicht, waren sie ständig präsent. Das Projekt war nur denkbar, weil sie mit den Helfern ganz selbstverständlich ein Team bildeten. Für diese Energie über ihren Alltag hinaus kann man die Familie nur bewundern. Für die Helfer wurde das Märchen Neersen auch ein Stück Selbsterfahrung: Plötzlich und ungeplant waren sie engagiert und wurden zu Helfern. Sie erlebten, was man so alles möglich machen kann. Und wurden von Helfern zum Team.

Die Hilfsaktion ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, dass ein soziales Netzwerk im Internet auch ein Segen sein kann. In "wkw" wurde die Aktion ganz schnell zum Selbstläufer.

Die Neersen leben nun wieder in ihrem Haus. Die Räume wurden neu angeordnet. Jetzt kann sich das Leben im Erdgeschoss abspielen. Es gibt oben Rückzugsmöglichkeiten, und auch die Pfleger haben es leichter. Der Rummel ist vorbei. Vom Spendengeld kann noch das eine oder andere bezahlt werden, am Schluss vielleicht noch eine Schaukel für die Kinder. Das schwere Leben der Familie aber geht weiter. Aber es geht, wie der Stuckateur Markus König richtig sagte, mit ein bisschen mehr Sonnenschein weiter.

Auf einen Blick

Die Hilfsaktion für Familie Neersen machten 110 Spender mit Einzahlungen auf das "Hilf-Mit!"-Konto sowie zahlreiche Firmen möglich, die Material kostenlos oder zum Selbstkostenpreis anboten.

Stellvertretend für alle großzügigen Spender seien hier genannt:

Katholischer Mütterverein in Wadgassen (Aktion), Technisch-Gewerbliches Berufsbildungszentrum (TGSBBZ, Spendenaktion) Saarlouis, Gesamtschule Wadgassen (Benefizabend), Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Kreisverband Saarlouis; CDU-Ortsverband Hostenbach (Erlös Kinderkleiderbasar); Rotary Saarlouis, Untere Saar; Rotary Merzig-Saarlouis; Harald Ley (Verkauf von Büchern und Bildern, Lesungen).

Die Firmen Kempf GmbH, Saarbrücken, Buderus, Ruhland-Kallenborn, Ensdorf, mit dem Türlieferanten Firma Herholz, Farben Huffer Saarlouis, Cristallerie Wadgassen, Niederer, Völklingen; Villeroy & Boch; Grohe Deutschland; Pfeiffer & May, Saarbrücken; Eugen König GmbH Zweibrücken, Keuco; WUD Containerdienst, Rink Elektrotechnik, Firma Ellersdorfer, Firma Saniku, Fliesen & Sanitärgalerie Brack Neunkirchen, Martin Brack, Firma König, Wadgassen, Firma Volker Peter; Dachdecker Becker, Saarlouis; Bäcker Babracke; Seiwert und Misiorny, Bous.

Helfer: Dennis Friedrich mit Freunden Hubert Brill, Alex Radau, Herr Jäckel; Helfer aus der Luftlandepionierkompanie 260: Hauptfeldwebel Peter Hahn, Oberstabsgefreiter Kevin Rauer, Stabsgefreiter Marco Karrasch, Obergefreiter Christian Bähr. Aus der Personalabteilung Stab/ Luftlandebrigade 26: Oberstabsgefreiter Steven Ritano, Stabsgefreiter Philipp Werb, Hauptmann Ralph Kunz.

Tanja Sieger vom Pflegestützpunkt des Kreises Saarlouis mit gutem Rat. we

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