Neues Mahnmal im Weltkulturerbe Eine Geste der Versöhnung in Völklingen

Völklingen · Star-Künstler Christian Boltanski hat ein beeindruckendes Mahnmal geschaffen, das an die Zwangsarbeiter der Hütte erinnert.

 Düsteres Archiv: Rostige Metallboxen bilden einen schmalen Gang, an dessen Ende ein Berg schwarzer Kleider liegt. Die Boltanski-Installation „Die Zwangsarbeiter“ ist vom 1. November an in der Sinteranlage des Weltkulturerbes Völklinger Hütte zu sehen.

Düsteres Archiv: Rostige Metallboxen bilden einen schmalen Gang, an dessen Ende ein Berg schwarzer Kleider liegt. Die Boltanski-Installation „Die Zwangsarbeiter“ ist vom 1. November an in der Sinteranlage des Weltkulturerbes Völklinger Hütte zu sehen.

Foto: Iris Maria Maurer

Die Witterung könnte nicht besser sein. Sie ist Christian Boltanskis Partnerin in der unterkühlten, durch getrübtes Winterlicht jetzt auch von außen eingedüsterten Sinteranlage der Völklinger Hütte. Unbehauster, unbehaglicher kann man sich wohl an keinem Ort auf dem früheren Industriegelände fühlen. Es ist, ohne Zweifel, der beste, der sich finden ließ für diesen Erinnerungsort an 12 393 NS-Zwangsarbeiter, die zwischen 1942 und 1945 in den Röchlingschen Eisen- und Stahlwerken (RESW) schufteten. 261 starben, darunter 60 Kinder. Der Generaldirektor des Weltkulturerbes nannte den Standort für die Boltanski-Installation „Die Zwangsarbeiter“ am Dienstag bei einem Presserundgang das „Herz“ der Hütte. Jeder, der das Unesco-Besucherzentrum ansteuert, kommt hier vorbei. Zudem fräst sich diese Gedenkstation über drei Etagen hinein in die offene Architektur. Im Besucherzentrum gibt ein gläserner Boden den Blick darauf frei, von der Installations-Ebene selbst führt eine Treppe hinunter zum Dokumentationszentrum. Und die Installation selbst stemmt sich nicht etwa gegen die atmosphärische und skulpturale Übermacht der Sinteranlage, sondern verschmilzt im milchigen Licht geradezu mit ihr.

Ja, dieser neue NS-Erinnerungsort im Saarland ist ein Kunstwerk. Als solches wird es vom Weltkulturerbe-Chef gesehen und präsentiert, wie eine Museums-Arbeit. Dass es Meinrad Maria Grewenig gelang, für das NS-Zwangsarbeiter-Mahnmal vor rund eineinhalb Jahren den „Erinnerungskünstler“ schlechthin zu gewinnen, einen der internationalen Top-Namen, Christian Boltanski (74), lässt sich nur als Glücksfall bezeichnen. Denn zum einen verbietet sich beim großen NS-Opfer-Thema jedwede künstlerische Mittelmäßigkeit, die Zwangsarbeiter haben laut Grewenig den „Besten“ verdient. Zum anderen nimmt der Name Boltanski auch jenen den Wind aus den Segeln, die den neuen Erinnerungsort mit kunstfernen Maßstäben messen. Denn Boltanskis jüdische Familie entkam während der Okkupationszeit in Paris selbst nur knapp der Verfolgung. Seine Integrität ist unangreifbar.

Boltanksi ist dafür bekannt, dass er auf einen Basisfundus an Zeichen und Konzepten zurückgreift. Auch für „Die Zwangsarbeiter“ entwickelte er nichts gänzlich Neues, reaktivierte seine Archiv-Idee, die durch serielle Nüchternheit gekennzeichnet ist. 3,30 Meter hoch stapeln sich hunderte rostig glänzender Metallboxen mit Nummern, bilden einen schmalen Gang, an dessen Ende ein Berg schwarzer Kleider unter einer Art Folterlampe liegt. Mehr braucht es nicht, um ein Höchstmaß an Assoziationen freizusetzen. Grabkammer, Sklavendasein, unbarmherzige Entindividualisierung, Isolation. Namen werden geflüstert. Gespenstisch. Eine Horrorshow? Genau das Gegenteil. Die Stimmen legen sich wie ein sanfter Chor über die Szenerie. Giovanni, Josef, Stanislas, Irina, Menschen aus 20 Nationen werden zurückgerufen. Nicht alle 12 393 – um die Abbildung historischer Wahrheit geht es nicht, sondern um das Eintauchen in eine Erfahrungswelt, um „Berührung“. Die Installation erlaube, „Erlebnisgrenzen sinnlich auszutesten“, sagte Grewenig. Doch von Gefühlen überwältigt wird man nicht, gerade das macht die Qualität aus. Boltanski buchstabiert das Wort Trauer unsentimental, fast kühl.

Die faktische Aufarbeitung der „unmenschlichsten Phase“ der Hüttengeschichte (Grewenig), die ein Forschungsauftrag des Weltkulturerbes ermöglichte, wird durch die Dokumentations-Station eine Etage tiefer geleistet. Eine Publikation der Historikerin Inge Plettenberg fasst die Erkenntnisse zusammen, auch wurde ein Buch mit der Namensliste aller Opfer herausgegeben, die auch auf der Internetseite des Weltkulturerbes abrufbar ist. Die freie Zugänglichkeit der Informationen, aber auch des neuen Erinnerungsortes hält Grewenig für entscheidend und kündigte eine eintrittsfreie Sonderveranstaltung am 9. November (Reichspogromnacht) an. In Zusammenarbeit mit der Landesarbeitsgemeinschaft Erinnerungsarbeit sei ein besonderes Programm geplant. Grewenig: „Ab sofort wird es keine Hüttenführungen mehr geben, in denen das Thema Zwangsarbeit nicht vorkommt.“

Boltanski bedeutet für die Hütte eine programmatische Neuausrichtung. „Wir werden dabei nicht stehen bleiben“, sagte Grewenig. Geplant sei, den in mühsamer Entschlüsselungsarbeit aus acht handschriftlichen Betriebs-Kladden von damals transkribierten Namen ein Gesicht zu geben, die Biografien zu recherchieren. „Die Industriekultur in allen europäischen Ländern war keine unschuldige Kultur“, resümierte Grewenig. Die Aufarbeitung beginne erst jetzt. In Völklingen hat dies nach Meinung antifaschistischer Initiativen unvertretbar lange gedauert. Doch jetzt erlebt man dank Boltanski im Weltkulturerbe einen unpathetischen Moment des Innehaltens, der angemessener kaum sein könnte.

Eröffnung diesen Mittwoch, mit dem Künstler, für Publikum frei ab 1. November. Geöffnet täglich 10 bis 19 Uhr, ab 5.11. bis 18 Uhr. Dienstags ab 16 Uhr freier Eintritt. Besucherservice: Tel. (0 68 99) 9 100 100.

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