Aus der Vergangenheit Europas lernen

Otzenhausen · Lehrer aus drei Ländern trafen sich zur neunten Deutsch-Polnisch-Ukrainischen Pädagogischen Konferenz in der Europäischen Akademie Otzenhausen. Die Delegationen tauschten sich über Schulpartnerschaften aus und nahmen an Workshops teil.

 Jerzy Wegrzynowski, Leiter von Spohns Haus, begrüßte die Gäste in der Europäischen Akademie Otzenhausen.Foto: Daniel Ames

Jerzy Wegrzynowski, Leiter von Spohns Haus, begrüßte die Gäste in der Europäischen Akademie Otzenhausen.Foto: Daniel Ames

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"Es scheint, als habe die Menschheit nicht viel gelernt", sagte Jerzy Wegrzynowski im Hinblick auf die anhaltenden Kämpfe im Osten der Ukraine . "Es ist notwendig, gemeinsam zu diskutieren." Die Deutsch-Polnisch-Ukrainische Konferenz an der Europäischen Akademie Otzenhausen gab die Möglichkeit zum Austausch über die Grenzen hinweg; rund 100 Pädagogen aus den drei Ländern folgten den simultan übersetzten Vorträgen. Rund 1500 Kilometer haben einige der ukrainischen Pädagogen und Lehrer zurückgelegt, um an der Konferenz teilzunehmen. Mit ihren Kollegen aus Deutschland und Polen hörten sie an den folgenden drei Tagen Vorträge, beteiligten sich an Workshops und unternahmen Exkursionen in der Region.

Gastredner war Professor Hans-Jürgen Bömelburg von der Universität Gießen. Entsprechend dem übergeordneten Thema der Konferenz "Aus der Vergangenheit lernen - 70 Jahre Frieden in Europa?" gab er einen Überblick unterschiedlicher Geschichtsauffassungen. Laut Bömelburg müssen die deutschen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs immer der Ausgangspunkt für die Geschichtsbetrachtung sein - auch 70 Jahre nach dessen Ende. "Das klingt zunächst nach einer langen Zeit. Aber auch 70 Jahre danach haben die meisten Betroffene in der eigenen Familiengeschichte." Im Verlauf der Jahre habe sich eine unterschiedliche Betrachtungsweise herausgebildet. In den 1970er und 80er Jahren habe sich in Deutschland der Pazifismus durchgesetzt. In Polen zeige sich ein anderes Bild: "Im Gegensatz zu Deutschland wird das Militär in Polen nicht infrage gestellt." Die Polen mussten sich in ihrer Geschichte stets gegen Großmächte verteidigen. Eine besondere Rolle spiele die Bürgerrechtsbewegung zu Zeiten des Eisernen Vorhangs. Die Einteilung Europas in zwei Blöcke während des Kalten Krieges habe die schwelenden Konflikte zwischen Polen und der Ukraine abgekühlt. Die Ukraine selbst habe keine starke Bürgerrechtsbewegung entwickelt. Bömelburg: "Das Land ist durch Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg gespalten." Das setze sich im Verhältnis zu Russland fort - zwischen Nähe und Ablehnung - was im anhaltenden Konflikt gipfelte. Für den zukünftigen Umgang mit Russland forderte Bömelburg eine klare Benennung der geschehenen Völkerrechtsverletzung. Die Sanktionen sollten aufrecht erhalten werden, aber "die kulturellen Beziehungen dürfen nicht gekappt werden."

Ein konkretes deutsch-polnisches Projekt stellte Thomas Strobel vom Braunschweiger Georg-Eckert-Institut vor. Ein gemeinsames Schulbuch - jeweils in der Landessprache - im Fach Geschichte, soll die Sichtweisen beider Länder vereinen. Ein ambitioniertes Projekt, das laut Strobel vor gut zehn Jahren "in den kühnsten Träumen nicht denkbar gewesen war." Nach Machbarkeitsstudien begann die konkrete Arbeit 2008. Das Themenspektrum vom Altertum bis in die Moderne sollen die drei Bände abdecken. Wichtig sei die Vermittlung eines offenen Geschichtsbilds samt alternativer Deutungsmöglichkeiten für die Schüler. Der erste Band soll Ende 2015 erscheinen.

Ökopädagogik im Fokus

Julia Mykhailyshyn ist Deutschlehrerin aus der ukrainischen Stadt Drohobytsch. Sie nimmt seit 2010 an den Konferenzen teil. "Für uns ist es nicht leicht, eine Partnerschaft mit einer deutschen Schule zu finden." Und das, obwohl Deutsch in der Ukraine mittlerweile als zweite Fremdsprache nach Englisch gut etabliert ist. Mit Schülern war sie schon mehrmals im Saarland. "Ich muss mich sehr bei Hans Bollinger für seine Arbeit bedanken." Bollinger war bis ins vergangene Jahr Leiter von Spohns Haus in Gersheim. An seine Stelle ist Jerzy Wegrzynowski getreten. Spohns Haus ist ein Schullandheim mit ökopädagogischem Schwerpunkt und polnischsprachigen Angeboten. Es veranstalte nunmehr zum neunten Mal die Deutsch-Polnisch-Ukrainische Konferenz. Bollinger versprach auch in seiner Rente, dem Projekt erhalten zu bleiben. Denn er sagt: "Der Erhalt einer Schulpartnerschaft ist oft von den Personen auf beiden Seiten abhängig." Wenn jemand ausfalle, stehe das gesamte Projekt auf der Kippe.

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