Vortrag Die dunkle Zeit des Klinikums Homburg

Homburg · Historiker Christoph Braß referierte über das Thema Euthanasie und Zwangssterilisation während des Dritten Reiches.

 Der aus Homburg stammende Historiker und Journalist Christoph Braß referierte am Uniklinikum bei der Paul-Fritsche-Stiftung über Zwangssterilisationen und Krankenmorde während des Dritten Reiches.

Der aus Homburg stammende Historiker und Journalist Christoph Braß referierte am Uniklinikum bei der Paul-Fritsche-Stiftung über Zwangssterilisationen und Krankenmorde während des Dritten Reiches.

Foto: Sebastian Dingler

Auf zwei der vielen schauderhaften Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes ging ein Vortrag von Christoph Braß ein, den der Historiker in der vergangenen Woche im Hörsaal der medizinischen Biochemie am Uniklinikum in Homburg hielt. Die Paul-Fritsche-Stiftung, Wissenschaftliches Forum, an der Medizinischen Fakultät war Einladende. Sie hat es sich seit Jahren zur Aufgabe gemacht, die Erinnerung an dieses Unrecht während der Nazi-Herrschaft auch im damaligen Homburger Krankenhaus wach zu halten.

Teil eins des interessanten Vortrags von Braß, der wegen der derzeitigen rechtsradikalen Umtriebe in der gesamten Bundesrepublik aktueller denn je ist, betraf die Zwangssterilisierung von Menschen, die von den Nazis als „Erbkranke“ betrachtet wurden. Über dieses Thema hatte der in Homburg aufgewachsene Braß in den Neunzigern seine Magisterarbeit geschrieben. Bei den Sterilisierungen machte auch der langjährige Leiter des einstigen Landeskrankenhauses in Homburg, Oscar Orth, eine unrühmliche Figur. Brass erwähnte im Vortrag, dass Orth verantwortlich war für 1430 Zwangssterilisationen, die in der chirurgischen Abteilung durchgeführt wurden. Ganz bescheiden ließ der Historiker aber den Verdienst aus, den er bei der Aufdeckung von Orths Rolle und der anschließenden Richtigstellung besitzt. Nach dem NSDAP-Mitglied Orth waren nämlich Straßennamen (in Homburg die Kirrberger Straße) und ein Wissenschaftspreis benannt. Nach der Aufdeckung durch Braß verschwand der Name „Oscar Orth“ gänzlich aus dem Homburger Stadtbild.

Noch kürzlich gab es in Orths Heimatort Ensheim Wirbel, weil sein Grab bis heute von der Stadt Saarbrücken gepflegt wurde, da er dort noch als Ehrenbürger geführt wurde. Braß war vor mehr als 20 Jahren Mitarbeiter unserer Zeitung und hatte dort seine Erkenntnisse über die Zwangssterilisationen und Orths Verwicklung darin publiziert. Damit kam der Stein ins Rollen, wurden die Umbenennungen beschlossen.

Zurück zum Vortrag: Dieser verdeutlichte die Unmenschlichkeit der Nazi-Verbrechen, wie Seniorprofessor Mathias Montenarh hinterher lobte, mit der Schilderung vieler Einzelfälle. „Eine Frau hat mich hierher geschickt, ich wär‘ zu dumm, da dürft’ ich keine Kinder kriegen“, das sagte etwa damals eine schwangere Landarbeiterin zum Amtsarzt, nachdem sie von einer Mitarbeiterin der Schwangerenberatung dorthin verwiesen wurde. Alle möglichen Institutionen halfen mit bei der Bespitzelung der Bevölkerung durch das so genannte Erbgesundheitsgericht in Saarbrücken: Bürgermeisterämter, Polizeidienststellen, Schulen, Mütterberatungen. Die Zwangssterilisation sei ein vollkommener Willkürakt gewesen, stellte Braß fest. Die häufig verwendete Diagnose „angeborener Schwachsinn“ etwa habe auf einem komplett schwammigen Gesetzeskommentar beruht. Oft sei diese Diagnose auch zur Sanktionierung „sexuellen Fehlverhaltens“ eingesetzt worden. Außer in Homburg wurden auch in Saarbrücken und Merzig Menschen zwangssterilisiert. Seine Doktorarbeit erweiterte Braß jetzt um das noch schlimmere Thema der „Euthanasie“ im Dritten Reich. Der Begriff ist ein Euphemismus für die systematischen Ermordungen Kranker per Anordnung von oben. Diese Krankenmorde wiederum fanden nicht im Saarland statt, da die hiesigen Psychiatriepatienten mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs in rechtsrheinische Anstalten deportiert wurden. Warum? Die Anstalt in Merzig lag im evakuierten Grenzgebiet zu Frankreich, das Krankenhaus in Homburg wurde zu Lazarettzwecken beschlagnahmt. Durch die Entfernung schwächten sich auch die Kontakte der Patienten zu ihren Verwandten ab, was vom Regime gewollt war. Diese mussten eine längere Reise auf sich nehmen, um nach dem Verbleib zu forschen.

Oft wurden sie dann mit einer gefälschten Todesursache (Blinddarmentzündung, Herzschwäche) konfrontiert. Denn die nach Nazi-Definition „Geisteskranken“ wurden im Keller einer Anstalt in Hadamer systematisch mit Giftgas getötet. Über das Schicksal der Patienten entschieden in Berlin sitzende Gutachter, die nichts weiter als einen Meldebogen, von der jeweiligen Anstalt ausgefüllt, erhielten. Christoph Braß schilderte auch den Widerstand einiger Anstaltsleiter, die die Herausgabe von Kranken verweigerten mit der Begründung, diese seien unentbehrlich im Arbeitseinsatz.

„Der Handlungsspielraum der beteiligten Psychiater war keineswegs so eng, wie viele von ihnen nach 1945 glauben machen wollten. Umso beschämender ist es, wie wenig diese Chance genutzt wurde.“ Auch konnte in manchen Fällen das beherzte Auftreten von Angehörigen die Heimkehr eines Patienten oder dessen Verlegung in eine kirchliche Anstalt erzwingen. Aber: „Von den über 1000 Psychiatriepatienten, die aus Homburg und Merzig evakuiert wurden, überlebte höchstens ein Viertel das Dritte Reich.“ Nach dem Krieg sei das Schicksal der Opfer rasch und gründlich verdrängt worden. Braß schloss mit den Worten: „In diesem Klima war kein Platz für Scham und Reue oder auch für ein Gedenken an die Opfer.“

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