Interview Susanne Münnich-Hessel „Rumhängen ist auch mal gut“

Kleinblittersdorf · Eine Verhaltenstherapeutin erklärt, warum es Kindern nützt, wenn sie sich in den Ferien langweilen.

 In den Ferien sollten Eltern ihre Kinder nicht zu pausenlosem Lernen auffordern. In Maßen könne das Wiederholen von Unterrichtsstoff aber sinnvoll sein, rät die Psychotherapeutin.

In den Ferien sollten Eltern ihre Kinder nicht zu pausenlosem Lernen auffordern. In Maßen könne das Wiederholen von Unterrichtsstoff aber sinnvoll sein, rät die Psychotherapeutin.

Foto: dpa/dpaweb/Z1003 Jens Büttner

Laut einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts Opinium Research versuchen mehr als die Hälfte aller Eltern (61 Prozent), die Sommerferien ihrer Kinder durchzuplanen – mit Freizeitprogramm und Lernangeboten. Der Grund: Sie fürchten, bei den Kindern könnte Langeweile aufkommen. Wie diese Entwicklung einzuordnen ist, sagt die Kleinblittersdorfer Verhaltenstherapeutin Susanne Münnich-Hessel, die im Vorstand der Psychotherapeutenkammer Saar sitzt.

Wie beurteilen Sie die Furcht vor Langeweile beim Kind?

 Psychotherapeutin Susanne Münnich-Hessel

Psychotherapeutin Susanne Münnich-Hessel

Foto: Susanne Münnich-Hessel/Astrid Karger

MÜNNICH-HESSEL Für viele Eltern ruft das Gefühl, mein Kind langweilt sich, Anspannung hervor. Sie fragen sich vielleicht, ob sie genug für ihr Kind tun. Real ist es aber so, dass Langeweile einfach ein Gefühl mit Signalstärke ist. Das ist etwas ganz Wichtiges für das Kind. Wenn dieses Gefühl länger andauert, muss das Kind lernen, das auszuhalten und sich damit auseinanderzusetzen. Der Zustand der Langeweile hat auch etwas Träumerisches. Dadurch können Ideen entstehen. Das Kind überlegt sich, wie es dieses Gefühl loswird, und überlegt sich, mal wieder die Oma oder eine Freundin zu besuchen oder etwas zu basteln. Langeweile fördert also die Kreativität, aber auch das Gefühl der Selbstwirksamkeit und damit das Selbstbewusstsein. Langeweile hilft auch, ein inneres Bauchgefühl, die „innere Stimme“ zu entwickeln. Denn durch die Langeweile hört das Kind in sich rein und fragt sich: „Was will ich, worauf hab‘ ich Lust?“ Ein inneres Bauchgefühl hilft uns unser ganzes Leben lang, Entscheidungen nicht nur mit dem Kopf zu treffen. Natürlich kann es bei chronischer Antriebsschwäche und dauernder Langeweile auch ein Signal für Probleme sein, zum Beispiel, dass das Kind tatsächlich was vermisst.

Neben durchgeplanten Freizeitprogrammen verordnen viele ihren Kindern auch Nachhilfestunden oder „Lern-Crash-Kurse“. Völlig unnötig?

MÜNNICH-HESSEL In Maßen kann das Wiederholen von Unterrichtsstoff natürlich sinnvoll sein – im letzten Drittel der Ferien, also ein bis zwei Wochen vor Ferienende. Solange es eine Freude für die Kinder ist, ist das ja auch okay. Gerade schwächere Schüler sollten aber in den Ferien nicht pausenlos lernen müssen, um Defizite auszugleichen, denn sie brauchen auch ein Erleben in der Familie ohne Schule. Und massive Lernprobleme können sowieso nicht durch einen Crash-Kurs behoben werden. In den Ferien stehen andere Dinge im Vordergrund, sie sind vor allem zum Erholen da.

Es besteht doch auch die Gefahr, dass Eltern das Selbstbewusstsein ihrer Kinder schwächen, wenn sie ihnen das Gefühl geben, nicht gut genug zu sein…

MÜNNICH-HESSEL Das stimmt. Das kann auch zu einer schwierigen Eltern-Kind-Beziehung führen. Lernen muss Spaß machen. Neugierde, Erfolgserlebnisse und Belohnung müssen sein. Wenn Schule und Lernen nur mit Streit, Ärger und Misserfolg zusammenhängen, dann kann beim Kind ein Vermeidungskreislauf eintreten.

Haben Sie als Psychotherapeutin den Eindruck, dass sich Eltern mehr als früher unter Druck setzen, um ihrem Kind ein erfolgreiches Leben zu ermöglichen?

MÜNNICH-HESSEL Eltern setzen sich schon immer unter Druck, um ihren Kindern das bestmögliche Leben zu verschaffen. Aber die Maßstäbe sind stark angewachsen. Früher waren die Eltern stolz, wenn das Kind aufs Gymnasium geht. Wenn es nicht so recht lief, gab es dann Nachhilfe. Heutzutage lernen viele Kinder vermehrt Fremdsprachen oder machen Computerkurse neben dem Unterricht. Schon im Kindergarten wird damit begonnen.

Wie kommt es zu dem Wandel?

MÜNNICH-HESSEL Der Druck ist gewachsen, weil das Thema Lernen und Schule in den letzten Jahren stark kommerzialisiert wurde. Die Anforderungen an die Eltern sind auch durch den gesellschaftlichen Druck gewachsen. Erfolg und Leistung sind in unserer Gesellschaft immer wichtiger geworden, das Vertrauen in die Fähigkeiten der Kinder ist dadurch immer mehr gesunken.

Was raten Sie Eltern, die sich diesem gesellschaftlichem Druck ausgesetzt fühlen?

MÜNNICH-HESSEL Ich würde den Eltern Mut machen, die Langeweile zuzulassen. Das heißt aber nicht, dass sie gar nichts mehr planen sollten. Gegen einen schönen Ausflug, zum Beispiel in einen Freizeitpark, ist ja nichts einzuwenden. Im Gegenteil. Rumhängen ist aber auch mal gut. Betrachtet man das Wort „Langeweile“, sieht man ja: Es geht um lange weilen. Das sollte eigentlich positiv konnotiert sein.

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