Kehrtwende in deutscher Politik Ukraine-Krieg verändert Profil von SPD und Grünen

Meinung · Der Angriff von Putin auf die Ukraine wird auch Deutschland und seine Parteien stärker verändern, als viele heute denken. Die Lieferung von Waffen in ein Kriegsgebiet und ein Aufrüstungsprogramm von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr waren bis zuletzt unvorstellbar.

 Robert Habeck, Annalena Baerbock und Olaf Scholz.

Robert Habeck, Annalena Baerbock und Olaf Scholz.

Foto: imago images/Future Image/Frederic Kern via www.imago-images.de

Die überraschende Kehrtwende wurde am vergangenen Sonntag durch die Regierungserklärung von Olaf Scholz eingeleitet. Der mit den Fraktionen und selbst vielen Kabinettsmitgliedern nicht abgestimmte Kurswechsel deutscher Politik ist sowohl in seiner Schnelligkeit als auch in seiner Dimension einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik. Vor allem bei der Höhe des Sondervermögens für die Bundeswehr war der Alleingang des Kanzlers im Vorfeld offenbar nur mit Finanzminister Christian Lindner und ganz engen Vertrauten abgestimmt. Wo nur wenige informiert waren, konnte sich im Vorfeld auch kein Widerstand formieren. Scholz stellte Parteifreunde, Koalitionspartner und die Opposition vor vollendete Tatsachen. Der Krisenkanzler gibt die Richtung vor und hat ein Machtwort gesprochen. Das kam bei vielen gut an – aber nicht bei allen in den eigenen Reihen. Vor allem bei Grünen und SPD sorgt die außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Wende um 180 Grad jetzt für immer mehr Irritationen und innerparteiliche Kritik. Dies ist verständlich. Dürfte es doch vielen Mitgliedern und Wähler heute schwerfallen, ihre politische Heimat noch wiederzuerkennen.

Gerade bei den aus der Friedensbewegung hervorgegangenen Grünen ist dies besonders schmerzhaft. Die, die über Jahrzehnte für Abrüstung demonstrierten, stehen jetzt für Aufrüstung. Dass wegen der Abhängigkeit von Russland bei der Energieversorgung auch noch verlängerte Laufzeiten für Kohle- und Atomkraftwerke diskutiert und geprüft werden, belastet die Grünen zusätzlich. Bei der Kernenergie gilt das zwar als unwahrscheinlich, trotzdem verschreckt dies Wähler aus Umwelt- und Anti-AKW-Bewegung.

Auch die SPD wollte Lieferungen von Waffen in Krisengebiete immer verhindern. Jetzt liefert die von ihr geführte Bundesregierung sogar Waffen in ein Kriegsgebiet. Der Widerstand der Jusos gegen das 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr war vorhersehbar. Mit vielen jungen Abgeordneten im Parlament sind sie heute aber einflussreicher als früher. Auch das wird zwangsläufig zu längeren Konflikten führen. Scholz und die SPD-Führung werden hier noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Der Krieg in der Ukraine und die menschliche Anteilnahme überlagern noch den Kurswechsel und seine Folgen. SPD und Grüne werden am Ende dieses Prozesses aber zweifellos andere Parteien mit neuen Positionen sowie veränderter Mitglieder- und Wählerstruktur sein. Dass dies nicht ohne Risiko ist, zeigt die inhaltliche Entkernung  der CDU unter Merkel. Das Festhalten an  überkommenen Positionen wie bei Teilen der Linken und AfD zu Russland ist allerdings deutlich problematischer.

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