Erschlaffendes Gewerbe

Welche Veränderungen konnte die Kripo im Jahr 2008 im Rotlicht-Milieu beobachten?Braun: Sowohl die Zahl der Prostituierten als auch die Zahl einschlägiger Etablissements hat zugenommen. Dies gilt sowohl für die Prostitution in Privatwohnungen als auch für Bordelle mit gewerblicher Zimmervermietung

Welche Veränderungen konnte die Kripo im Jahr 2008 im Rotlicht-Milieu beobachten?Braun: Sowohl die Zahl der Prostituierten als auch die Zahl einschlägiger Etablissements hat zugenommen. Dies gilt sowohl für die Prostitution in Privatwohnungen als auch für Bordelle mit gewerblicher Zimmervermietung. Woran liegt das?Braun: Nach wie vor kommen Frauen aus Osteuropa und verstärkt auch aus Südamerika ins Saarland und gehen hier der Prostitution nach. Zugleich gehen die Umsätze zurück.Wieso gehen die Umsätze zurück, wenn es immer mehr Prostituierte gibt?Braun: Weil die Nachfrage und die Preise zurückgehen. Welche Folgen hat das für die Prostituierten?Braun: Prostituierte, die in Bordellen mit gewerblicher Zimmervermietung arbeiten, zahlen eine Miete pro Tag zwischen 80 und 100 Euro. Angesichts der vielerorts vorhandenen Dumping-Preise pro Geschlechtsakt decken die Einnahmen oft nicht die Ausgaben. Außerdem wird die Nachfrage nach "Sex ohne Schutz und ohne Tabus" immer größer. Daher steigt die Gefahr von Geschlechtskrankheiten. Wie kann man dieser Entwicklung seitens der Behörden begegnen?Braun: Man sollte regelmäßige Pflichtuntersuchungen von Prostituierten durch das Gesundheitsamt wieder einführen. Außerdem könnte man bei einer Neufassung des Prostitutionsgesetzes diese hohen Mieten verbieten.Wie hoch ist der Anteil der Zwangsprostitution am gesamten Rotlicht-Gewerbe?Braun: Nach wie vor gibt es neben der selbstbestimmten Tätigkeit mit angemessenen Arbeitsbedingungen in großem Umfang Zwangs- und Ausbeutungsverhältnisse. Wie intensiv sind die Kontrollen der Kripo?Braun: Insgesamt hat die Kripo im vorigen Jahr 147 Kontrollen - gegenüber 148 im Jahr 2007 - in Bordellen, Bars, Swinger- und Saunaclubs, "Hostessenwohnungen" sowie auf dem Straßenstrich durchgeführt. Wir haben 563 Personen - gegenüber 483 im Jahr 2007 - überprüft. Allein aufgrund der Kontrolltätigkeit der Kripo wurden im Zeitraum von 2005 bis 2007 fünf Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels im Saarland initiiert. Dennoch gibt es rückläufige Verfahrenszahlen im Deliktsfeld Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Warum ist das so?Braun: Es gibt Frauen aus Osteuropa, die in ihrer Heimat aus so zerrütteten und gewaltgeprägten Familienverhältnissen stammen, dass sie sich hier gar nicht als Opfer begreifen. Zudem wissen Zwangsprostituierte oft nicht, wie sie sich bei Polizei-Kontrollen verhalten sollen. Sie wissen nicht, ob sie sich selbst strafbar gemacht haben, ob die Polizei auf ihrer Seite steht und ob sie nach einer Aussage womöglich gegen ihren Willen in ihre Heimat zurückgeschickt werden.Muss die Polizei demnach ihre bisherigen Strategien überdenken?Braun: Wir brauchen besonders ausbildete Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die Anzeichen von Menschenhandel als solche wahrnehmen und für die Situation der Frauen sensibilisiert sind. Wir benötigen im Bereich der Prostitution Street-Workerinnen. Und wir müssen verstärkt aufklären - sowohl hier als auch in den Heimatländern der Prostituierten. Bei unseren Kontrollen in Bordellen müssen wir möglichen Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostitution eine größtmögliche Sicherheit vermitteln.

HintergrundIn die Diskussion um die seit Jahren von der Saar-Kripo geforderte Genehmigungspflicht für Bordelle und bordellartige Betriebe kommt Bewegung. Wie das saarländische Wirtschaftsministerium auf SZ-Anfrage mitteilte, wird sich der Bund-Länder-Ausschuss (BLA) Gewerberecht im Mai erneut mit dem Thema befassen. Zuvor hatten sowohl die Frauen- als auch die Wirtschaftsministerkonferenz des Bundes und der Länder darauf gedrängt, die Angelegenheit wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Der BLA Gewerberecht hatte eine Genehmigungspflicht bisher abgelehnt, weil er der Ansicht war, dass Prostitution kein Gewerbe sei. Dagegen ist die Kripo für eine Genehmigungspflicht, weil aus ihrer Sicht eine Unterscheidung zwischen genehmigten und illegalen Bordellen neue Ansätze zur Bekämpfung von Frauenhandel und Zwangsprostitution eröffnen würde. nof

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