Ein Lederranzen ist heute LuxusWie viel darf der Ranzen wiegen?

Saarbrücken. Als die Abc-Schützen vor 50 Jahren nach Ostern in die Schulen kamen, trugen sie alle Lederranzen. Heute hat den kaum noch ein I-Männchen auf dem Rücken. Bunt, poppig sehen die Ranzen aus. Sie sind aus Kunststoffgewebe, haben reichlich Reflektoren, damit die Kinder im Straßenverkehr gesehen werden

 Die Schultüte in beiden Armen und den kleinen Lederranzen auf dem Rücken starteten die Kinder Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre in den Schulalltag. Foto: dpa

Die Schultüte in beiden Armen und den kleinen Lederranzen auf dem Rücken starteten die Kinder Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre in den Schulalltag. Foto: dpa

Saarbrücken. Als die Abc-Schützen vor 50 Jahren nach Ostern in die Schulen kamen, trugen sie alle Lederranzen. Heute hat den kaum noch ein I-Männchen auf dem Rücken. Bunt, poppig sehen die Ranzen aus. Sie sind aus Kunststoffgewebe, haben reichlich Reflektoren, damit die Kinder im Straßenverkehr gesehen werden.

"Solche Ranzen sind heute Standard", sagt Doris Burkhardt (46) von der Saarbrücker Grundschule Am Ordensgut. Jüngster Trend sind Trolleys, weiß die neue Leiterin der Schule: "Aber das sieht man im Moment erst bei den älteren Kindern." Die ziehen ihr Schulköfferchen auf Rollen hinter sich her, fast wie am Flughafen. Je nach Marke legt man dafür zwischen 50 und 150 Euro hin. Wer will, kann sein Kind aber nach wie vor mit einem Ledertornister ausstaffieren. Im Waldorf-Internetshop gibt's einen, der fast wie anno 1960 aussieht ("Bio-Leder") für etwa 150 Euro - Luxus 2010 eben.

Professor Horst Schiffler, Leiter des Ottweiler Schulmuseums, weiß genau, was 1960 ein Erstklässler in einer der saarländischen Bekenntnisschulen im Ranzen hatte; die Volksschulen waren damals noch in kirchlicher Trägerschaft. "Schiefertafel, Schwammdose, Trockenläppchen, Griffelmäppchen mit einer Kugelrechenmaschine im Deckel, die Fibel ,Kommt wir lesen' von Arthur Kern, die das Ministerium für Unterricht und Volksbildung empfohlen hatte, ein Rechenbuch, ein Zeichen- und ein Schreibheft", zählt Schiffler auf: "Auch die Butterbrotdose durfte nicht fehlen.". Das gänsehautreizende Kratzen der Schiefergriffel auf einer Tafel gehörte da gerade erst der Vergangenheit an, da sich die Milchgriffel - mit weißer Mine - in den 50er Jahren durchgesetzt hatten.

"Ich bin sicher, dass 1960 noch um Ostern herum eingeschult wurde, da in der Fibel auf den ersten Seiten Osterhasengeschichten zu finden sind", erklärt der Professor, der früher an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg lehrte. Zudem weiß er von einem Schulreifetest, der am zweiten Schultag stattfand. Da sei es um die Erkennung geometrischer Formen und um das Verständnis von Zahlen gegangen. Aber auch um die Motorik: "Die Kinder mussten mit der rechten Hand das linke Ohr über den Kopf herüber erreichen."

Die frühere Lehrerin Margarethe Müller, die in Malstatt lebt, erinnert sich, dass auch die Aluminiumdose für die Butterbrote wichtiger Ranzeninhalt war: "In der großen Pause wurden zwei Buben bestimmt, die zum Hausmeister laufen mussten, um die Palette mit der Schulmilch zu holen." In der Schultüte seien außer Süßigkeiten auch Bälle, Pixi-Bücher und Springseile gewesen. "Früher haben sich die Schüler viel mehr bewegt", ist die rüstige 89-Jährige überzeugt.

1985 waren die Lederranzen passé. "Da waren schon alle mit den neuen leichten Kunststoffranzen unterwegs", so der Schulmuseums-Chef. Eine der Fibeln hieß jetzt "Wunderbare Sachen", und es steckten Sachbücher im Ranzen. Die Abc-Schützen schleppten nun vermehrt kopierte Blätter heim. Die Butterbrote kamen auch öfter ungegessen zurück, da mancher Schulhausmeister ein Nebengeschäft mit "Schnäckes" aufzog.

Die Erstklässler von heute haben auch einiges im Ranzen. "Das Lesebuch 'Abc der Tiere', ein Mathebuch, Arbeitshefte und jede Menge Schnellhefter in diversen Farben", listet Lehrerin Doris Burkhardt auf. In letzteren sortieren die Schüler Arbeitsblätter der jeweiligen Fächer ein. Rot steht - zumindest in der Saarbrücker Schule - für Deutsch, grün für Sachkunde und grau ist alle Religion. Geschrieben wird mit dem Triplus Schreiblernstift, einer Art dicken Bleistift, der gut in der Kinderhand liegt.

Was die heutigen Grundschüler ebenfalls neu haben, ist der Kieserblock mit Blättern gleicher Linierung wie die Arbeitshefte. So können die Schüler einfach Blätter fürs Schreiben und Malen abreißen. Dazu kommt ein "Eckspanner", eine Mappe mit Gummizug, in der der Lehrer Infos für die Eltern mitgibt - und umgekehrt.

Neben der Pausenbrotdose stecke auch eine Trinkflasche im Ranzen, sagt Burkhardt. Nicht bloß vom Frontalunterricht ist man abgerückt, man achtet auch darauf, dass die Grundschüler auch während der Stunde genug trinken.

Klar, auch Spielsachen für die Pause bringen die Kinder mit. Besonders beliebt sind Tauschkarten mit Sammelmotiven. Gerade zu Schuljahresbeginn schaut die Grundschullehrerin regelmäßig in die Ranzen, weil sich viele Erstklässler mit dem Packen noch schwer tun. "Manche Kinder sind richtig unglücklich, wenn sie nicht täglich alles mitnehmen können."Saarbrücken. In den meisten Fällen machen sich Eltern zu Unrecht Sorge über zu schwere Ranzen. Von der Faustformel, der Ranzen dürfe maximal ein Zehntel des Körpergewichts des Kindes wiegen, hält Professor Georg Wydra vom sportwissenschaftlichen Institut der Saar-Uni wenig. "Bis zu 20 Prozent des Körpergewichts sind unproblematisch", erklärt Wydra. In einer Studie hat er den Zusammenhang zwischen dem Gewicht der Schulranzen und der Auswirkung auf das Gehverhalten der Schüler untersucht. Demnächst sollen detaillierte Ergebnisse der Studie vorgestellt werden.

Schon jetzt aber lässt sich sagen, dass die Abc-Schützen deutlich mehr schultern können, als oft angenommen. Auch eine Untersuchung im Rahmen des "Kidchek", einer Aktion von Saar-Uni und Saarbrücker Zeitung, kam 2008 zu einem ähnlichen Resultat.

Weitaus wichtiger sei gute Fitness Kraftausdauer der Kinder, meint der Sportwissenschaftler, kurzum, dass sie sich ausreichend bewegen. "Das größte Problem ist nicht der zu schwere Ranzen", sagt Wydra, "sondern, dass viele Eltern ihre Kinder bis vors Schultor fahren und sogar noch den Ranzen in die Klassenraum tragen." oli

 Heute liegen Ranzen auf zwei Rädern im Trend: Wie Reisegepäck zieht Schülerin Lilli ihren Trolley hinter sich her. Foto: bub

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