Nichts für Traumtänzer

Saarbrücken. "Warum kommst du zu spät?" will Ballettchefin Marguerite Donlon lächelnd, aber bestimmt wissen. Der Ertappte stammelt eine Ausrede, dann legt er schnell seine Sachen ab und mischt sich unter die Tanzschüler. "On Broadway" tönt aus den Lautsprechern. Dort möchten vielleicht einige der Jugendlichen, die hier trainieren, gerne hin

 Jamie Mejeh (li.) und Hidir Can Sasi beim Training mit Tänzerin Youn Hui Jeon und Gaetano Franzese im Ballettsaal des Staatstheaters. Foto: Iris Maurer

Jamie Mejeh (li.) und Hidir Can Sasi beim Training mit Tänzerin Youn Hui Jeon und Gaetano Franzese im Ballettsaal des Staatstheaters. Foto: Iris Maurer

Saarbrücken. "Warum kommst du zu spät?" will Ballettchefin Marguerite Donlon lächelnd, aber bestimmt wissen. Der Ertappte stammelt eine Ausrede, dann legt er schnell seine Sachen ab und mischt sich unter die Tanzschüler. "On Broadway" tönt aus den Lautsprechern. Dort möchten vielleicht einige der Jugendlichen, die hier trainieren, gerne hin. Doch an diesem Tag sind sie im Ballettsaal des Saarländischen Staatstheaters, wo vergangene Woche die elf neuen Mitglieder der Jugendtanzgruppe iMove zum ersten Training kamen.

Insgesamt sind es 25 Jugendliche, die unter Leitung der Tänzerin Youn Hui Jeon und des ehemaligen Tänzers Gaetano Franzese tänzerische Grundlagen - kein klassisches Ballett - vermittelt bekommen. Die besten haben die Chance auf ein Tanzstipendium. Es nennt sich "Move up", wird mit Spenden finanziert und kommt zurzeit zwei Nachwuchstalenten aus der ersten Runde von iMove zugute: Hidir Can Sasi und Jamie Mejeh.

Letzterer hat es jetzt zum Eleven des Balletts des Staatstheaters gebracht. Schaut man dem gebürtigen Nigerianer beim Tanzen zu, glaubt man, den jungen Michael Jackson vor sich zu haben, wie er sich dreht, zappelt, sich verkantet. Alles an Jamie wirkt schlank und geschmeidig. Mit Vorliebe trägt er einen weißen Hut. Dann sieht er so sehr aus wie Jacko, dass die Leute auf der Straße sich umdrehen. "Ich habe eine ganze Hut-Sammlung, auch welche in pink, aber der weiße ist mein Lieblingshut," erzählt Jamie mit einem breiten Zahnspangengrinsen - nachdem er sein Kaugummi sorgfältig im mitgebrachten Silberpapier entsorgt hat. Volljährig ist dieser charmante, leise Junge gerade geworden, der mit seinem Enthusiasmus, seiner Leidenschaft und seinem Können Marguerite Donlon so beeindruckt hat, dass sie ihn unter ihre Fittiche nahm. Jetzt hat er einen Vertrag als Eleve beim Staatstheater, nimmt am täglichen Training der Company teil. "Nachhilfe" gibt es in "klassischem Ballett". Denn Jamie hat viel nachzuholen, will er die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik und Darstellende Künste in Frankfurt schaffen, wohin ihn Donlon, die dort auch unterrichtet, schickte, damit ihre Kollegen Jamies Talent beurteilen. "Ich durfte zwei Tage lang mittrainieren und Kurse besuchen", erzählt Jamie, der nun ein nicht unrealistisches Ziel anpeilt: Frankfurt. Die Profi-Tänzer-Ausbildung. Ein festes Engagement. Für ihn, der mit fünf Geschwistern bis vor kurzem in einer Jugend-Wohn-Gruppe wohnte, erfüllt sich ein Traum. Auch deshalb arbeitet Jamie so hart an sich. "Er hat das Talent zum Profi-Tänzer", sagt Donlon.

Die jungen iMove-Tänzer sind nicht alle grandiose Bewegungstalente, im Gegenteil. Doch sie haben sich für das Nachwuchsprogramm qualifiziert, das vor allem eines will: Das Selbstbewusstsein der Jugendlichen stärken und ihnen durch die tänzerische Körperarbeit neue Ausdrucksmöglichkeiten eröffnen. "Ihr müsst immer ein klein wenig über eure Grenze gehen", appelliert Donlon an den Nachwuchs. Beim Training könne man diese "wichtige Lektion des Lebens" üben, denn Tanzen erfordere Disziplin, Kommunikations- und Teamfähigkeit sowie Respekt vor dem anderen. Und wenn nicht via Körpersprache kommuniziert werde, spreche man in der Tanzwelt hauptsächlich Englisch, fügt die Ballett-Chefin, die nur zwei deutsche Tänzer in ihrer Company beschäftigt, hinzu. Auch das müssten und könnten die Jugendlichen hier lernen.

Während die Truppe sich zu Electro-Beats rückwärts durch den Raum bewegt, beobachtet Donlon zufrieden ihre Küken. Das etwas kräftigere Mädchen dahinten fühle sich jetzt endlich wohl in ihrem Körper, erzählt sie. Das könne man sehen. Oder der Typ da vorne, der seine erste Schüchternheit überwunden habe und beim Tanzen jetzt richtig aus sich rausgehen könne. Und mittendrin: Strahlend, geschmeidig und hochkonzentriert - Jamie, wie er seinen Michael Jackson-Stil um ein paar neuerlernte Ballett-Positionen erweitert.

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