Was hinter dem Berliner Mietendeckel steckt „Bauen, Kaufen, Deckeln“

Berlin · Am Dienstag soll der Berliner Senat einen Kompromiss zum Mietendeckel beschließen. Was heißt das für Mieter und Vermieter?

 Wuchermieten, wie zum Teil auch am Prenzlauer Berg, soll es künftig nicht mehr geben. Berlin will die Mieten teilweise deckeln.

Wuchermieten, wie zum Teil auch am Prenzlauer Berg, soll es künftig nicht mehr geben. Berlin will die Mieten teilweise deckeln.

Foto: dpa/Jens Kalaene

Seit Monaten plant die Landesregierung in Berlin eine Revolution auf dem Wohnungsmarkt. Doch bei den Details des bundesweit bisher einmaligen Mietendeckels hat sich die Koalition aus SPD, Linke und Grünen lange Zeit verbissen. Über Stunden haben sich die Gespräche am Freitag hingezogen, nun steht ein Kompromiss, den der Berliner Senat am kommenden Dienstag beschließen will. Und für Vermieter wie Mieter wird klarer, was auf sie zukommt.

Das Land will die Mieten für 1,5 Millionen nicht preisgebundene Wohnungen für fünf Jahre auf dem Stand vom 18. Juni 2019 einfrieren. Damals hatte der Senat erste Eckpunkte des Vorhabens beschlossen. Die sich seit Jahren drehende Spirale, bei Neuvermietungen grundsätzlich höhere Mieten aufzurufen und im Bestand regelmäßig draufzusatteln, soll damit gestoppt werden. Mieter bekämen eine „Atempause“, sagt Berlins Regierungschef Michael Müller (SPD). Das Gesetz soll im Januar in Kraft treten und umfasst alle Wohnungen, die vor 2014 gebaut wurden.

Am Dienstag will sich der Senat auch mit dem Thema Obergrenzen befassen. Sie sollen nach Kriterien wie Baujahr und Ausstattung der Wohnung festgelegt werden. Grundlage soll der Mietenspiegel 2013 sein, weil der Wohnungsmarkt in Berlin in jenem Jahr noch als gesund galt.

Der Mietendeckel kommt wohl in erster Linie bei Neuvermietung zum Tragen. Bestandsmieter können ihre Miete nur in Ausnahmefällen senken. Dann, wenn Vermieter „Wuchermieten“ verlangen, die die definierten Obergrenzen um mehr als 20 Prozent überschreiten. Bewohner sollen dann bei den Behörden eine Absenkung auf diesen Wert beantragen können. Kompliziert wird es, weil noch Zu- oder Abschläge auf Basis der Lage möglich sein sollen. Das braucht Zeit zur Vorbereitung und bis zu 250 neue Beschäftigte in der Verwaltung. Daher soll die Senkungsregelung erst neun Monate nach dem Mietendeckel in Kraft treten, also wohl im 4. Quartal 2020.

Viele sehen den Mietendeckel jedoch kritisch. Die Wohnungswirtschaft ebenso wie CDU, FDP und AfD laufen gegen die Pläne Sturm. „Die Berliner Landesregierung kehrt zurück zur sozialistischen Wohnungspolitik“, schimpft der Präsident des Immobilienverbandes IVD, Jürgen Michael Schick. Investitionen etwa in Modernisierungen und der dringend nötige Wohnungsbau würden lahmgelegt. Der größte Berliner Vermieter Deutsche Wohnen sieht den Mietspiegel als „Frontalangriff“. Kein Wunder: Der Konzern büßte im Zuge der Mietendebatte in Berlin in diesem Jahr zeitweise ein Drittel seines Wertes am Aktienmarkt ein.

Um die Vermieter zu beruhigen, schlägt die Berliner Koalition das Konstrukt eines „atmenden Mietendeckels“ vor. Vermieter sollen ab 2022 jährlich 1,3 Prozent als Inflationsausgleich auf die Miete draufschlagen können. Außerdem sollen sie Modernisierungsmaßnahmen für mehr Barrierefreiheit oder Klimaschutz ohne Genehmigung bis zu einem Euro je Quadratmeter auf die Miete umlegen können. Für höhere Kosten soll es Fördermittel geben.

Die Idee des Mietendeckels kam in Berlin auf, weil die Angebotsmieten zuletzt schneller gestiegen sind als anderswo. Sie haben sich laut Bundesbauministerium innerhalb von zehn Jahren auf durchschnittlich 11,09 Euro je Quadratmeter kalt im Jahr 2018 verdoppelt. Und der Trend hält an: Für 2019 kommt das Portal Immowelt auf 11,60 Euro. Selbst Normalverdiener haben in etlichen Stadtteilen kaum noch Chancen auf eine bezahlbare Bleibe.

Diese Entwicklung liegt vor allem daran, dass sich die Hauptstadt angesichts ihrer Attraktivität und wegen niedriger Zinsen zu einer Spielweise für internationale Investoren und Rentenfonds entwickelt hat. In Erwartung hoher Gewinnmargen haben sie sich hier wie auch in anderen Metropolen zu „Mondpreisen“ eingekauft, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor einiger Zeit kritisierte. Nun wollen sie das bei der Miete wieder reinholen. Gleichzeitig wird Wohnraum knapp, weil der Neubau der Nachfrage hinterherhinkt. Ein Grund: Hohe Grundstückspreise und immer komplexere Auflagen machen Bauen teurer. Folge: Es entsteht zu wenig preisgünstiger Wohnraum.

Die Berliner Strategie dagegen lautet: „Bauen, Kaufen, Deckeln“. Die Landesregierung setzt also auf eine Kombination von Neubau, dem Rückkauf einstmals privatisierter Wohnungsbestände und dem Mietendeckel. Eine Bürgerinitiative hatte noch eine andere Idee und zur Enteignung großer Immobilienkonzerne ein Volksbegehren angestrengt. Linke und Grüne finden das gut. Der Regierende Bürgermeister Müller lehnt ein solches Vorgehen strikt ab.

Darüber ob der Mietendeckel rechtlich überhaupt umsetzbar ist, gehen die Meinungen in Politik und diversen Rechtsgutachten auseinander. Als sicher gilt, dass der Eingriff in die Eigentumsrechte Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht beschäftigen wird. Union und FDP im Bundestag wie im Berliner Abgeordnetenhaus haben Normenkontrollklagen in Aussicht gestellt. Auch die Immobilienwirtschaft will sich „wehren“.

Die Frage ist zudem, ob das Land überhaupt Mieten regulieren darf. Der Senat sagt „ja“, da seit der Föderalismusreform 2006 zwar der Bund für Mietenpolitik, die Länder indes für Wohnungswesen zuständig sind. Inwieweit ein jahrelanges juristisches Tauziehen Mietern hilft, bleibt abzuwarten.

Kassieren Gerichte den Mietendeckel, könnten sie sich womöglich mit Mietnachforderungen konfrontiert sehen. Doch daran glaubt Rot-Rot-Grün in Berlin nicht: „Wir schreiben ein bisschen Geschichte, hoffe ich“, sagt Linke-Chefin Katina Schubert.

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