Vor der blauen Moschee wartete der Tod

Istanbul · Entsetzen in Istanbul: Ein islamistischer Attentäter hat mindestens acht Deutsche mit einer Bombe getötet. Der Angreifer sprengte sich mitten in einer Reisegruppe nahe der weltberühmten Hagia Sophia in die Luft.

Ein sonniger Januarmorgen in Istanbul . Die Touristen in der Altstadt freuen sich daran, denn sie haben sehr gutes Wetter für ihren Besuch erwischt. Gegen 10.20 Uhr (9.20 Uhr MEZ) versammelt sich eine Reisegruppe, bestehend aus Deutschen, Norwegern und Peruanern, auf dem so genannten Pferdeplatz vor der Blauen Moschee. Der "Pferdeplatz" mit seinen zwei uralten Obelisken, die frühere Wagenrennbahn von Konstantinopel, ist Ausgangspunkt vieler Besichtigungstouren im Stadtviertel Sultanahmet.

Die Mitglieder der Reisegruppe haben sich gerade vor einem der Obelisken aufgestellt, um sich von ihrer Fremdenführerin etwas erzählen zu lassen, als ein gewaltiger Knall die morgendliche Ruhe zerreißt und ein gelber Feuerball inmitten der Gruppe aufsteigt, wie ein Augenzeuge später schildert. Körperteile werden Dutzende Meter weit in Eingangsbereich eines Museums auf der anderen Seite des Platzes geschleudert. Leute in der Gegend hören nicht nur die Detonation, sie riechen verbranntes Fleisch.

Die Explosion wirft die Menschen zu Boden - einige haben schwerste Verletzungen und werden von den kurz darauf eintreffenden Sanitätern für tot erklärt. Leyla Akcam, eine türkische Passantin, entkommt nur knapp der "lebenden Bombe", wie Selbstmordattentäter in der Türkei genannt werden. Kurz vor der Explosion geht sie an der Reisegruppe vorbei. "Drei Minuten haben mich gerettet, drei Minuten!", schluchzt sie wenig später in die Mikrofone türkischer Reporter. Von elf Toten - zehn Touristen und dem Selbstmordattentäter - sowie 15 Verletzten ist die Rede. Mehrere Verletzte schweben am Nachmittag noch in Lebensgefahr. Unter den Opfern sollen sich acht Deutsche befinden. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu ruft Bundeskanzlerin Angela Merkel an und drückt seine Anteilnahme darüber aus, dass die meisten der Todesopfer Bundesbürger gewesen seien.

Fest steht, dass die Täter ein brutales Zeichen setzen wollten: Wir können überall zuschlagen, selbst im Herzen der größten Stadt des Landes. Diesmal zielt die Gewalt auf Zivilisten. Dass Erdogan und andere Regierungspolitiker eine zu diesem Zeitpunkt noch diskutierte Täterschaft der kurdischen Rebellenorganisation PKK nicht einmal erwähnen, macht deutlich, dass die türkische Führung schon kurz nach dem Anschlag über handfeste Beweise zu verfügen glaubt. Für den Präsidenten und die meisten Türken steht fest: Der Islamische Staat (IS) greift jetzt in ihrem Land westliche Touristen an. "Es war ein ausländisches Mitglied des IS", sagt Davutoglu über den Täter. Das ist eine neue Dimension. Im vergangenen Jahr hatten IS-Mitglieder an der syrischen Grenze und in der Hauptstadt Ankara bei Selbstmordanschlägen mehr als 130 Menschen getötet. Damals richteten sich die Gewalttaten gegen linke und kurdische Aktivisten, die vom IS als gottlos und gefährlich eingeschätzt wurden.

Unterdessen machten Berichte die Runde, der IS habe mehr als ein Selbstmord-Team aus Syrien über die Grenze nach Istanbul geschickt. Diese Berichte haben sich gestern wohl bewahrheitet. Deshalb wird jetzt wieder verstärkt über das Verhältnis zwischen der Türkei und extremistischen Gruppen im syrischen Bürgerkrieg diskutiert. Diplomaten berichten von einer Phase in der Anfangszeit des Syrienkrieges ab 2011, als türkische Regierungsbeamte mit ihren Kontakten zu islamistischen Milizen prahlten. Damals hoffte Ankara, die Gotteskrieger als Helfer im Kampf gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad einspannen zu können. Die Tatsache, dass Erdogan und andere Regierungsvertreter schon kurze Zeit nach der Explosion die Identität des Täter kannten, zeige, dass der Name des Mannes offenbar auf einer Liste von mutmaßlichen Gewalttätern gestanden habe, nimmt Bozkurt an. "Irgendjemand hat versagt."

Schon seit Jahren spielt die Türkei für den IS eine ganz besonders wichtige Rolle. Über die lange Landgrenze von 900 Kilometern zwischen der Türkei und Syrien versorgen sich die Dschihadisten mit Waffen, Munition und neuen Kämpfern. Westliche Regierungen kritisieren immer wieder, dass die Türkei nicht energisch genug versucht, diese Nachschubwege für die Ex tremisten abzuschneiden.

In jüngster Zeit hatten türkische Militärs mit dem Bau von Zäunen und Mauern in einigen Grenzabschnitten begonnen. Außerdem hat der IS durch den Vormarsch der syrischen Kurdenpartei PYD entlang der Grenze zur Türkei die Kontrolle über wichtige Grenzabschnitte verloren. Viele hoffen jetzt auf schnelle Fahndungsergebnisse, um mögliche IS-Schläferzellen im Land enttarnen zu können.

Zum Thema:

HintergrundAllein 2015 haben IS-Anschläge in der Türkei rund 170 Menschen das Leben gekostet. Oktober 2015: Am Rande einer Demonstration in Ankara reißen zwei Sprengsätze mehr als 100 Menschen in den Tod. Juli 2015: In Suruc sprengt sich ein Selbstmordattentäter in die Luft. 33 pro-kurdische Aktivisten sterben. Juni 2015: Unbekannte verüben in der südosttürkischen Diyarbakir einen Anschlag. Mindestens vier Menschen sterben. Januar 2015: In Istanbul reißt eine Selbstmordattentäterin einen Polizisten mit in den Tod. dpa

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