Oettinger überzeugt selbst seine KritikerWeiter Streit in Brüssel um die Kandidatur der Bulgarin Schelewa

Brüssel. Der Energie-Kommissar steht unter Strom. Ein "Kreuzverhör" hatten die Abgeordneten dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger angedroht. "In die Mangel" wollten sie ihn nehmen. Doch es kommt ganz anders

Brüssel. Der Energie-Kommissar steht unter Strom. Ein "Kreuzverhör" hatten die Abgeordneten dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger angedroht. "In die Mangel" wollten sie ihn nehmen. Doch es kommt ganz anders. Er habe seine Vorstellungen "souverän, sicher in den Details und mit schwäbischem Charme" vermittelt, bescheinigt ihm der saarländische FDP-Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis nach dem dreistündigen Fragen-Marathon. Ex-Grünen-Chef Reinhard Bütikofer, inzwischen nach Europa gewechselt, spricht gar von einer "guten Trainingsleistung". Auch die saarländische CDU-Abgeordnete Doris Pack sieht einen "glänzenden Auftritt". Oettinger überzeugt auf der ganzen Linie. "Ich bin nicht der deutsche Kommissar, ich bin der Kommissar - von Deutschland vorgeschlagen", reicht der scheidende baden-württembergische Regierungschef den Vertretern der anderen Mitgliedstaaten die Hand. Immer wieder lädt er das Parlament ein, "gemeinsam mit mir" für eine sichere Energieversorgung zu sorgen. Die Kernkraft habe eine "Brückenfunktion". Atommeiler sollen weiterlaufen, um "den Einstieg in die erneuerbaren Energiequellen zu erleichtern". Die EU-Fördergelder will er zugunsten von Wind, Wasser, Sonne und Biomasse umsteuern. "Für die Kernkraft gibt es dann weniger, das ist richtig", sagt er. Sogar Jo Leinen, einst sozialdemokratischer Umweltminister im Saarland und heute Vorsitzender des Umweltausschusses, bilanziert: "Sie sind vom Saulus zum Paulus geworden." Locker pariert der Stuttgarter Ministerpräsident den Vorwurf des Luxemburger Grünen Claude Turmes, er stehe den Großkonzernen zu nahe und spiele mit RWE-Konzernchef Jürgen Großmann Skat: "Da ging es um ein Benefizturnier für Kinder. Herr Großmann hat ordentlich verloren und gespendet." Dann ergänzt Oettinger mit einem Lächeln: "Wenn Sie gut Skat spielen und Geld mitbringen, sind Sie herzlich eingeladen." Später wird er noch deutlicher: "Trauen Sie mir die nötige Unabhängigkeit bitte zu." Tatsächlich dürfte Oettingers erster öffentlicher Auftritt als künftiger EU-Kommissar wenig Freude in den Vorstandsetagen der Konzerne ausgelöst haben. Von ihnen fordert er Geld, um das "marode Leitungsnetz zu sanieren". Die Wirtschaft müsse so weit wie technisch möglich auf CO2-arme Produktion umsteigen. Innerhalb Europas soll es "Energiesolidarität" geben. "Insellösungen" will er wegverhandeln. Vor allem die Vertreter aus den baltischen Staaten, an denen die künftige Ostsee-Pipeline vorbeiläuft, hören das gerne. Die Abhängigkeit von russischem Gas will Oettinger "mindern, ohne die Partnerschaft mit Moskau zu lösen". Sein großes Thema aber heißt Energiesparen. Das EU-Ziel, bis 2020 ein Fünftel der Energie durch effizientere Nutzung einzusparen, soll festgeschrieben werden. Anfang 2011 werde er dazu einen erweiterten Vorstoß präsentieren. "Wenn wir dann feststellen, dass das freiwillig nicht erreichbar ist, müssen wir auch mit rechtlichen Mitteln Druck machen." Ausgerechnet im Industrieausschuss des Parlamentes, der die Anhörung durchführt, haben solche Worte einen besonderen Klang. "Sind Sie bereit, auch gegenüber den Mitgliedstaaten die Boxhandschuhe anzuziehen, wenn die nicht mitziehen?", wird er gefragt. Seine Antwort ist unmissverständlich: "Ja."Spätestens da ist aus dem Baden-Württemberger Günther Oettinger ein Europäer geworden, der auch einen Konflikt mit der Bundesregierung nicht scheut. "Er war glänzend", heißt es danach auf den Fluren. Und das hört man in diesen Tagen, in denen die 26 künftigen Kommissare auf Herz und Nieren getestet werden, nur ganz selten. Brüssel. Der Streit um die designierte bulgarische EU-Kommissarin Rumjana Schelewa (40) nimmt zu. Der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende im Europaparlament, Martin Schulz, teilte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gestern mit, Schelewa sei abgesehen von Vorwürfen wegen Verheimlichung finanzieller Interessen "nicht gut genug für den Job" der Kommissarin für internationale Zusammenarbeit und humanitäre Hilfe. Er forderte Bulgariens Regierungschef Bojko Borissow zudem auf, einen neuen Kandidaten zu benennen.Schwere Bedenken gegen die Christdemokratin Schelewa gibt es auch bei Liberalen und Grünen im Europaparlament. Bei einer für den 26. Januar vorgesehenen Abstimmung können die EU-Abgeordneten keine einzelnen Kandidaten, sondern lediglich die gesamte EU-Kommission ablehnen. "Natürlich muss Präsident Barroso das Ergebnis der Anhörungen vor dem Parlament berücksichtigen, wenn er die Kommission dem Parlament zur Billigung vorschlägt", sagte EU-Kommissionssprecherin Pia Ahrenkilde-Hansen. Bisher sei der von den Fraktionsspitzen beschlossene Brief an Barroso mit der Forderung nach einer Untersuchung von Schelewas Angaben noch nicht eingetroffen. Schelewa wird vorgeworfen, bei offiziellen Angaben über ihre Privatgeschäfte dem Europaparlament verschwiegen zu haben, dass sie Besitzerin einer Beratungsfirma in Sofia war.Vor dem Hintergrund der möglichen Ablehnung Schelewas drohte die christdemokratische Fraktion der EVP ihrerseits mit einer Ablehnung des slowakischen Sozialdemokraten Maros Sefcovic. Er soll in der neuen Kommission für interinstitutionelle Beziehungen zuständig sein. Der ungarische Christdemokrat József Szájer sagte, seine Fraktion sei "sehr besorgt" über Roma-feindliche Äußerungen von Sefcovic. Sollte er diese bei der Anhörung nicht ausräumen können, sei er als Kommissar nicht tragbar. dpa

HINTERGRUNDDer "Aktionsplan" von Günther OettingerKernenergie: Sie bleibt Sache der Mitgliedstaaten. Die Forschung zur sicherer Nutzung und Endlagerung wird verstärkt.Alternative Energien: 20 Prozent des Bedarfs sollen bis 2020 aus Wind, Wasser, Sonne und Biomasse kommen. Durch effiziente Nutzung soll ein Fünftel der Energie eingespart werden.Wirtschaft: Umstellen auf kohlenstoffarme Produktion.Energiesicherheit: Die Leitungen sollen saniert werden, eine solidarische Nutzung der Netze möglich werden. Von Russland will die EU unabhängig werden.Energiesparen: Das Ziel: 20 Prozent weniger bis 2020. dr

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