Der mühsame Weg nach Port-au-PrinceEntwicklungshelfer: "Haiti muss wieder von vorne anfangen"

Santo Domingo/Port-au-Prince. Während in Haiti die Menschen verzweifelt nach Verschütteten graben, das Trinkwasser knapp wird und Plünderungen drohen, sammeln sich im Nachbarland Dominikanische Republik die Hilfsteams aus aller Welt. Nahrungsmittel, Medikamente, Zelte und Suchhunde sind auf dem Weg nach Port-au-Prince. Doch der Weg ist mühsam

Santo Domingo/Port-au-Prince. Während in Haiti die Menschen verzweifelt nach Verschütteten graben, das Trinkwasser knapp wird und Plünderungen drohen, sammeln sich im Nachbarland Dominikanische Republik die Hilfsteams aus aller Welt. Nahrungsmittel, Medikamente, Zelte und Suchhunde sind auf dem Weg nach Port-au-Prince. Doch der Weg ist mühsam. Haiti ist auch am zweiten Tag nach dem verheerenden Erdbeben weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten. Die Infrastruktur ist zerstört. Auf dem Flughafen, dessen Tower bei dem Beben schwer beschädigt wurde, können größere Transportmaschinen noch nicht landen. Zum Drehkreuz für alle Helfer wird deshalb Santo Domingo im Nachbarstaat.

In der Nacht und am frühen Morgen treffen dort immer mehr Rettungs-Teams ein: Eine Staffel mit Suchhunden aus Spanien, ein Team der Deutschen Welthungerhilfe aus Deutschland und zahlreiche Helfer aus vielen anderen Ländern. Sie alle steuern zunächst Santo Domingo an, um dann irgendwie auf dem Landweg oder mit dem Hubschrauber nach Haiti zu kommen. "Mit dem Auto braucht man, wenn alles gutgeht und es keinen Stau an der Grenze gibt, drei Stunden von hier zur Grenze und dann noch einmal zwei Stunden nach Port-au-Prince", sagt ein Helfer.

Doch niemand weiß, wie es um die Straßen nahe der haitianischen Hauptstadt bestellt ist. Womöglich wird aus der sonst fünfstündigen Autofahrt von Santo Domingo nach Port-au-Prince eine Tagesreise. Die umfassende Hilfe aus der ganzen Welt wird jedenfalls nicht so rasch dort eintreffen, wo sie so dringend benötigt wird. Ein spanischer Retter sagt in Santo Domingo: "Wir sind gekommen, um nach Überlebenden in den Trümmern zu suchen." Doch wann er mit seinen Hunden am Einsatzort sein würde, wusste er nicht.

Um die Situation möglichst bald zu verbessern, wurde bereits am Mittwoch damit begonnen, auf dem Flughafen von Port-au-Prince einen provisorischen Kontrollturm zu errichten. Im Flughafengebäude tagt seit Mittwoch zudem die Notstandskommission. Sie besteht aus Mitgliedern der haitianischen Regierung, Mitarbeitern der internationalen Organisationen und vor allem aus Experten der UN-Mission Minustah. Die Kommission wird vom lateinamerikanischen "Desaster Response Team" dabei unterstützt, auf dem Flughafen ein Logistikzentrum aufzubauen, das die erwarteten riesigen Mengen von Hilfsgütern aufnehmen, lagern und verteilen soll.

Das Team besteht aus amerikanischen Freiwilligen des deutschen Logistikunternehmens DHL. Der Panamaer Virgilio Mora sagt: "Wenn der Tower am Flughafen wieder steht, brauchen wir noch 24 Stunden, um die Infrastruktur herzurichten. Dann können die Hilfslieferungen in großem Stil beginnen."Herr Kühn, wie ist die derzeitige Situation in Haiti?

Michael Kühn: Dramatisch. Ich war am Mittwoch auf dem Weg zu einem Treffen mit anderen Hilfsorganisationen in Port-au-Prince. Aber ich sah so viel Leid und Zerstörung, dass ich einfach weiter fuhr. Ich sah Sachen, die ich noch nie gesehen hatte: Gestapelte Leichen in den Straßen. Menschen, die versuchen, mit bloßen Händen andere aus den Trümmern zu bergen. Verletzte, die ohne Hilfe auf der Straße liegen. Ich habe sicher 80 Leichen auf der Fahrt gesehen. Ich kann das nicht im Detail beschreiben.

Was ist jetzt das Dringendste?

Kühn: Wir haben hier eine dramatische Kombination: Es fehlen Wasser, Essen und Ärzte. Das Dringendste ist die medizinische Versorgung. Die Menschen liegen auf der Straße und warten. Wir müssen sie versorgen, damit es nicht zu Unruhen kommt. Die Welthungerhilfe hat ein Nothilfeteam auf den Weg gebracht, der Malteserhilfsdienst Ärzte.

Können die 9000 UN-Blauhelme helfen?

Kühn: Die Uno ist im Moment sehr mit sich selbst beschäftigt und kann ihren Auftrag nicht wahrnehmen. Sie muss hier aber schnellstmöglich die Koordinierung in die Hand nehmen.

Hat das Erdbeben dem geschundenen Land jetzt den Todesstoß versetzt?

Kühn: In dieser Kategorie denke ich nicht, aber alle Gedanken um die Investitionen und Ankurbelung der Wirtschaft sind überflüssig. Haiti muss wieder von vorne anfangen.

Wie sieht es eigentlich bei Ihnen zu Hause und in Ihrem Büro aus?

Kühn: Mein Haus und das Welthungerhilfe-Büro haben gewackelt, aber sie stehen noch. Internetzugang und Strom sind ausgefallen, und in unserem Büro wohnen Mitarbeiter, die ihr Haus verloren haben oder deren Angehörige. Bei mir zuhause habe ich auch Kinder und Freunde aufgenommen.

HINTERGRUND

Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) hat vor "Trittbrettfahrern" beim Spendensammeln gewarnt. Auf seiner Internetseite www.dzi.de hat das Institut eine Liste mit den Adressen und Kontonummern der Organisationen veröffentlicht, die Spenden für Haiti sammeln und das DZI-Spenden-Siegel tragen. kna

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