Krisenstaat Venezuela Maduro lässt abstimmen, aber es gibt keine Wahl

MEXIKO-STADT · Fragt man Venezolaner in diesen Tagen nach der Wahl der Nationalversammlung am Sonntag, kommt meist eine gleichgültige Antwort. „Warum soll ich wählen gehen?“, sagt etwa der Straßenverkäufer Rafael Rodríguez.

 Nicolas Maduro ist seit 2013 Präsident von Venezuela. 2019 scheiterte die Demokratiebewegung gegen ihn.

Nicolas Maduro ist seit 2013 Präsident von Venezuela. 2019 scheiterte die Demokratiebewegung gegen ihn.

Foto: dpa/Ariana Cubillos

„Zum einen sind die doch alle gleich, die da kandidieren. Und zum anderen muss ich sehen, dass ich überlebe“. Damit fasst der junge Mann in einem Satz zwei der größten Probleme der Venezolaner zusammen.

Die Neuwahl des bisher von der Opposition dominierten Parlaments ist eine Abstimmung, bei der es nicht wirklich was zu wählen gibt. Denn die Regierungsgegner um ihre Führungsfiguren Juan Guaidó und Henrique Capriles boykottieren die Abstimmung. Zum anderen hat die Corona-Krise das ohnehin schon wirtschaftlich gebeutelte südamerikanische Land so hart getroffen, dass die Menschen zu Hunderttausenden in die Armut fallen, unterernährt sind oder schlicht hungern.

In den vergangenen drei Wochen hat die Währung Bolívar 60 Prozent an Wert verloren, die schleichende Dollarisierung der Volkswirtschaft schafft zusätzliches Chaos, die Inflation liegt dieses Jahr bei 1800 Prozent. „Dieser Wahlkampf und die Abstimmung bewegen die Menschen nicht, weil sie wissen, dass es keine Chance auf Veränderung gibt“, sagt der Politologe José Vicente Carrasquero von der Universität Simón Bolívar.

Neben der Opposition bezeichnen auch die EU und die USA diese Wahl als unfair und unfrei und erkennen sie nicht an. Die venezolanische Bischofskonferenz geht zudem davon aus, dass die Abstimmung die Krise des Landes nicht lösen werde. „Dieser Urnengang ist weit davon entfernt, zu einer demokratischen Lösung der Krise beizutragen. Er wird sie vielmehr verschärfen“, heißt es in einer Erklärung der Bischofskonferenz. Zumal die wenigen Oppositionskandidaten Bewerber sind, die von der Regierung ins Rennen geschickt wurden, um eine Art von Scheindemokratie und Diversität zu wahren. Die wirkliche Opposition boykottiert die Wahl.

In der Folge wird von Januar an die letzte frei gewählte und von der Anti-Regierungskoalition dominierte Institution des Landes gleichgeschaltet sein. Die Soziologin Margarita López Maya fürchtet, dass Venezuela nach Sonntag sogar auf dem Weg zu einem vollständig totalitären Land sein könnte.

Denn die 2015 gewählte Nationalversammlung ist bis heute das letzte Gegengewicht zum autoritären Machtapparat Nicolas Maduros. Zwar wurden in den vergangenen Jahren durch Regierung und regimetreue Justiz die Kompetenzen des Parlaments deutlich beschnitten, aber es blieb eine demokratische Institution, die auch als Ansprechpartner für weite Teile der Internationalen Gemeinschaft diente. Als sich dann ihr frisch gewählter Vorsitzender Guaidó Anfang 2019 zum legitimen Staatschef erklärte und versuchte, mit Unterstützung von wochenlangen Massenprotesten, Maduro zu stürzen, schien ein Ende der Chavisten nach 20 Jahren an der Macht möglich.

Aber am Ende blieb der junge Politiker ohne Erfolg, auch wegen vieler politischer Fehler wie zwei missglückten Putschversuchen. Und so ist weiter Maduro Präsident. Seine Leute dominieren die Institutionen des Staates, vor allem die Armee. Auch Guaidó hat indes an Vertrauen verloren. Nach einer jüngsten Umfrage vertrauen mittlerweile 60 Prozent der Venezolaner weder Maduro noch Guaidó.

Daher sehen Menschen wie der Autor Alberto Barrera Tyzka mit viel Pessimismus auf die Zeit nach der Abstimmung. Nach Sonntag seien alle politischen Optionen auf einen Wechsel beendet, sagt er. Und fürchtet, dass sein Land vor einer neuen massiven Fluchtwelle steht.

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