EU-Gipfel um Corona-Hilfsfonds Notfalls ohne Polen und Ungarn

Brüssel · Beim EU-Gipfel am Donnerstagabend suchten die Staatenlenker nach Auswegen für den Corona-Hilfsfonds.

 Ratspräsident Charles Michel spricht mit den Staats- und Regierungschefs der EU während einer Videokonferenz zum EU-Gipfel.

Ratspräsident Charles Michel spricht mit den Staats- und Regierungschefs der EU während einer Videokonferenz zum EU-Gipfel.

Foto: dpa/Olivier Matthys

Als die Kameras in den Regierungszentralen am Donnerstagabend eingeschaltet wurden, hatten die Brüsseler EU-Juristen drei Nächte durchgearbeitet. Auf dem Tisch der 27 Staatenlenker lagen diverse Szenarien, die einen Ausweg aus jener Sackgasse weisen sollten, in die Ungarn und Polen die Gemeinschaft am Montag hatten hineinlaufen lassen: Aus Verärgerung über einen neuen Rechtsstaatsmechanismus, der es möglich machen würde, Verstöße gegen demokratische Grundwerte mit dem Entzug von Subventionen zu bestrafen, hatten die Vertreter Warschaus und Ungarns das gesamte Finanzpaket der Gemeinschaft über 1,8 Billionen Euro gestoppt. Es besteht aus dem Ausgabenrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 über 1,1 Billionen Euro und dem Aufbaufonds über 750 Milliarden Euro, aus dem die Regierungen ihre Hilfen für kleine und große Unternehmen bezahlen wollten, die durch die Coronavirus-Krise geschädigt worden waren.

Bis Donnerstagabend hatte vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel als Vertreterin der halbjährlich wechselnden Ratspräsidentschaft alle Hände voll zu tun, um den absehbaren Schaden von der Union noch abzuwenden. Beobachter berichteten, sie habe stundenlang mit allen Amtskollegen telefoniert. Ihr Ziel: Polen umstimmen und Ungarn isolieren. Nur ganze 30 Minuten beschäftigte das Thema dann die Staats- und Regierungschefs. Sowohl Ungarns Premier Viktor Orbán wie auch sein polnischer Amtskollege Mateuz Morawiecki hätten ihr Veto verteidigt, berichteten Regierungskreise am Abend. Es habe keine Beschuldigungen oder „emotionale Ausraster“ gegeben. Ratspräsident Charles Michel beendete die Diskussion angesichts völlig verhärteter Fronten schließlich und vertagte das Thema. Das entspricht der Linie, auf die sich die EU-Spitzen offenbar vorab verständigt hatten. In Brüssel setzt man darauf, dass auch die Zeit gegen die beiden Regierungen in Warschau und Budapest arbeiten werde. Schließlich dürften Polen mit rund 23 Milliarden Euro und Ungarn mit sechs Milliarden Euro aus dem Anti-Corona-Topf rechnen. Beide Staaten sind von der Pandemie schwer getroffen und könnten die Finanzmittel, die nicht zurückgezahlt werden müssen, gut gebrauchen.

Bis zum nächsten Zusammentreffen am 10. Dezember werden die 25 Staats- und Regierungschefs nun mit den beiden Kollegen aus dem Osten diskutieren. Als denkbar gelten zwei mögliche Auswege aus der Krise. Unter Bezug auf Artikel 7 des EU-Vertrages müssten die übrigen 25 Mitglieder Defizite bei der Rechtsstaatlichkeit in den beiden Ländern feststellen. Daraufhin könnte man ihnen die Stimmrechte in den europäischen Gremien entziehen. Fazit: Haushaltsrahmen und Aufbaufonds könnten zusammen mit dem neuen Rechtsstaatsinstrument beschlossen werden. „Daraufhin würden Warschau und Budapest sicher den Europäischen Gerichtshof anrufen“, mutmaßte der Chef der christdemokratischen EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU).

Die zweite Variante wäre wohl deutlich einfacher zu haben. Um wenigstens die dringend benötigten Gelder des Aufbaufonds loszueisen, würden die 25 Regierungen (ohne Polen und Ungarn) einen Vertrag miteinander schließen. Das Vorbild funktioniert schon seit Jahren: Auch der ESM-Rettungsfonds, in der Finanzkrise erfunden, arbeitet nach diesem Prinzip. Noch ist unklar, ob diese Möglichkeit wirklich eine Chance hat oder lediglich zur Abschreckung erfunden wurde, denn auch sie käme einer offenen Brüskierung Polens und Ungarns gleich, weil die beiden Staaten von den Hilfsgeldern ausgeschlossen blieben.

Unmittelbar vor den Beratungen gaben sich die deutschen Politiker schweigsam. „Wir sind als Ratspräsidentschaft in der Rolle, eine Lösung finden zu müssen“, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) unmittelbar vor einem virtuellen Treffen mit seinen Amtskollegen am Donnerstag.

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