Presonalpoker um Spitzenämter Die wahren Königsmacher in der EU

Brüssel · Lange galten Frankreichs Präsident und die deutsche Kanzlerin als Strippenzieher in Brüssel. Doch im aktuellen Personalpoker zeigen sich neue Akteure.

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hat die EU als neues Spielfeld für sich entdeckt.   Foto:  Hellín//dpa

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hat die EU als neues Spielfeld für sich entdeckt. Foto:  Hellín//dpa

Foto: dpa/Jesús Hellín

Emmanuel Macron weiß, wen er sich an der Spitze der Europäischen Union vorstellen könnte: Angela Merkel. „Wenn sie will, würde ich sie unterstützen“, sagte der französische Staatspräsident vor einer Woche. „Wir brauchen eine starke Persönlichkeit.“ Doch daraus wird nichts. Die Bundeskanzlerin zeigte sich nach dem EU-Gipfel in der Vorwoche sogar regelrecht verärgert darüber, dass ihr „Nein“ nicht respektiert werde. Es ist nicht das einzige Zeichen dafür, dass die beiden so unterschiedlichen Politiker gerade nicht auf einen Nenner kommen und deshalb auch ihre Rolle als Königsmacher in der EU nicht wahrnehmen können. Auch hat Macron dafür gesorgt, dass die Aufstiegschancen des Merkel-Schützlings Manfred Weber, Spitzenkandidat der Christdemokraten und Fraktionschef der EVP im neuen Parlament, dramatisch gesunken sind.

Doch weder Merkel noch der französische Präsident scheinen derzeit die eigentlichen Strippenzieher im Personalpoker zu sein, der wohl am Sonntag seinen Höhepunkt und Abschluss finden könnte. Vor allem der spanische Sozialdemokrat Pedro Sánchez hat die EU als neues Spielfeld für sich entdeckt. „Spanien ist zurück in Europa und will dort seine Rolle ausfüllen“, sagt Sánchez‘ rechte Hand, sein Außenminister Josep Borrell. In den vergangenen Wochen sorgte der Premier von Madrid aus dafür, dass die sozialdemokratische Fraktion künftig von seiner Vertrauten Iratxe García Pérez geleitet wird. Ihre Absage an Weber als künftigen Kommissionspräsidenten war deutlich – und zweifellos eine Botschaft, die mit Sánchez abgesprochen war. Nach den Krisenjahren will Spanien zurück an die Spitze Europas.

Aber auch im Norden der Union hat sich ein neues Machtzentrum gebildet, das ein Werk des rechtsliberalen niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte ist. Insgesamt gehören acht Staaten aus Skandinavien und dem Baltikum zur „Neuen Hanse“, wie sie inzwischen bezeichnet wird. Zum ersten Mal trat diese Koalition vor einigen Monaten in Erscheinung, als sich deren Finanzminister gegen die bislang häufige Praxis deutsch-französischer Abmachungen im Vorfeld von EU-Treffen wehrten, die dann auf Gipfeln und in Ministerräten sozusagen eins zu eins übernommen wurden. Zwar müssten sich Rutte und Macron einigermaßen gut verstehen, weil beide dem liberalen Lager entstammen, doch dem ist nicht so. Rutte wehrt sich, wo er nur kann, gegen den Versuch aus Paris, die EU auszubauen und zu vertiefen. Der Niederländer hat mehrfach deutlich gemacht, dass auch er Merkel als Wunschkandidatin habe – allerdings als EU-Ratspräsidentin. An der Spitze der Kommission sähe er wohl seinen Landsmann Frans Timmermans gern – auch wenn der Sozialdemokrat ist.

Das will vor allem der Franzose verhindern, der bei den Christdemokraten als der Pate hinter dem deutschen Kandidaten Weber steht: Joseph Daul. Der Freizeitlandwirt aus dem Elsass war zwischen 2007 und 2014 Chef der christdemokratischen Fraktion im Abgeordnetenhaus der EU – und damit der direkte Vorgänger Webers. Inzwischen zieht er als Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) die Fäden. Aber der große alte Mann der Christdemokraten wirkt im Machtgeflecht der übrigen Mitgliedstaaten mehr und mehr verloren.

Klaus Johannis, der parteilose Staatspräsident Rumäniens, hat längst mehr Gewicht, zumal er noch bis Sonntag die halbjährlich wechselnde Ratspräsidentschaft der EU innehat und sie dann an den frisch gewählten finnischen Sozialdemokraten Antti Rinne weitergibt. „An beiden kommt niemand vorbei“, heißt es in Brüssel unmittelbar vor dem Sondergipfel am Sonntag.

Bleibt nur noch ein Königsmacher, dessen Rolle in diesen Tagen nicht ganz klar wurde: Donald Tusk. Der frühere konservative Ministerpräsident Polens leitet als Ratspräsident die EU-Gipfel und wurde von den Staats- und Regierungschefs mit der Erstellung eines ausgewogenen Personaltableaus beauftragt. Dazu zählt auch sein eigener Posten, der auf zwei Amtsperioden von 2,5 Jahren begrenzt ist. Inzwischen kursiert in Brüssel eine weitere Variante: Tusk könnte die Straßenseite wechseln und nach dem Ratsvorsitz nun den Chefsessel der Kommission übernehmen. Aber das ist, wie so vieles zurzeit in Brüssel, vielleicht auch nur Kaffeesatz-Leserei.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort