Spaltet Jean-Claude Juncker die Europäische Union?

London · Weder englischer Charme noch der rote Teppich, der vor einigen Wochen in London ausgerollte wurde, konnten die Entscheidung beeinflussen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre zurückhaltende Position beim Thema EU-Kommissionspräsident aufgegeben.

Das musste der britische Premierminister David Cameron Ende der vergangenen Woche schmerzlich erfahren. Während er als Gegner von Jean-Claude Juncker gilt, hat sich die Kanzlerin am Freitag erstmals öffentlich für den Spitzenkandidaten der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) ausgesprochen. Großbritanniens Premier soll dagegen mit einem Austritt seines Landes aus dem Verbund gedroht haben, falls Juncker neuer Kommissionschef werden sollte. Juncker hatte bei der Europawahl das beste Wahlergebnis erzielt, doch von Großbritannien wurde er bereits vor der Wahl abgelehnt, genauso wie der Sozialdemokrat Martin Schulz.

Dem "Spiegel" zufolge erklärte der Brite am Dienstag während des EU-Gipfels der deutschen Kanzlerin, dass ein Votum pro Juncker "seine Regierung derart destabilisieren" könnte, dass ein Austrittsreferendum vorgezogen werden müsste. Solch ein Volksentscheid wiederum werde wahrscheinlich zu einem Nein der Briten zur EU-Mitgliedschaft führen. Juncker, der bereits seit drei Jahrzehnten der Brüsseler Politik seinen Stempel aufdrückt, sei ein falsches Signal. Cameron habe Bedenken gegenüber dem europäischen Föderalisten. "Ein Gesicht der 80er Jahre kann nicht die Probleme der nächsten fünf Jahre lösen", soll der konservative Premier gesagt haben. Der künftige Kommissionspräsident muss von den EU-Regierungschefs vorgeschlagen und vom EU-Parlament bestätigt werden. Ein Sprecher Camerons wollte den Medienbericht gestern nicht kommentieren. Junckers Reaktion klang gelassen: "Die EU muss sich nicht erpressen lassen", sagte er in einem Interview.

Prekär ist zudem die Ankündigung des Vorsitzenden der Alternative für Deutschland. Bernd Lucke hat angeblich den Beitritt der AfD-Abgeordneten im EU-Parlament zur Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer beantragt. Das Besondere daran: Zu dieser Gruppierung gehören auch die Tories, was Cameron in eine Zwickmühle manövriert. Ein Bündnis mit den deutschen Eurokritikern könnte die Beziehung zwischen London und Berlin belasten. Dabei braucht David Cameron die Bundesregierung als Verbündete für seine Reformvorhaben in Brüssel.

Ein "Brexit", wie ein möglicher Austritt Großbritanniens auf der Insel genannt wird, hat im Königreich Auftrieb bekommen, seit die rechtspopulistische Unabhängigkeitspartei Ukip bei der Europawahl als stärkste Kraft hervorging. Die Europafeinde unter Nigel Farage fordern einen sofortigen Austritt aus der Union. Cameron steht unter Druck - und das nicht nur aufgrund der Schlappe bei der Europawahl. Der rechte Flügel seiner eigenen Partei meldet sich immer wieder lautstark mit Rebellionsdrohungen. Die Europhoben der Tories verlangen vom Regierungschef, Kompetenzen nach London zurückzuholen. Dessen Ankündigung, bei einem Sieg der Parlamentswahl 2015 ein In-Out-Referendum im Jahre 2017 abzuhalten, reicht vielen Konservativen nicht aus. Sie haben die Sorge, dass Ukip in den nächsten Jahren noch mehr Stammwähler zum Überlaufen bringen könnten.

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