Flickschustern an Frankreichs Verfassung

Paris · Schon drei Tage nach den Anschlägen im November hatte François Hollande angekündigt: "Wir müssen unsere Verfassung weiterentwickeln, um gegen den kriegerischen Terrorismus zu handeln." Doch obwohl das Vorhaben des französischen Präsidenten damals noch von beiden Parlamentskammern beklatscht wurde, erweist es sich nun als fast unlösbare Aufgabe.

Denn es geht nicht mehr nur um die Sicherheit der Franzosen, sondern um politische Taktik im Jahr vor den Präsidentschaftswahlen. Der Verfassungsrechtler Didier Maus warf Hollande deshalb im "Figaro" vor, er missbrauche die Verfassungsänderung für einen "politischen Diskurs".

Der Präsident sitze in der Falle, konstatiert die konservative Ex-Ministerin Nathalie Kosciusko-Morizet. In der Tat wird es für den Sozialisten schwer werden, sich aus dem Dilemma zu befreien, in das er sich mit seinen Plänen manövriert hat. Denn einer Verfassungsänderung müssen Nationalversammlung und Senat mit Drei-Fünftel-Mehrheit zustimmen. Aber sowohl von seiner eigenen Parteilinken als auch von der konservativen Opposition kommt inzwischen Widerstand gegen das Projekt, das ursprünglich auf breite Zustimmung stieß.

"Wir hatten Gold in der Hand und haben es zu Blei werden lassen", klagte ein Minister in der Zeitung "Le Parisien". Rund drei Viertel der Franzosen waren im Januar für eine Verlängerung des Ausnahmezustands, der seit dem 13. November gilt und nun in der Verfassung festgeschrieben werden soll. Ebenso viele unterstützten das zweite Vorhaben: die Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Franzosen mit zwei Pässen, die wegen Terrorismus verurteilt wurden. An dieser Maßnahme stößt sich allerdings der linke Flügel der regierenden Sozialisten , verkörpert von Justizministerin Christiane Taubira. Sie trat deshalb vorige Woche zurück.

Taubira sieht den Entzug der Nationalität für doppelte Staatsbürger als Diskriminierung vor allem der Einwanderer aus den ehemaligen Kolonien in Afrika. Eine entsprechende Regelung für alle wegen Terrorismus verurteilten Franzosen wiederum würde Staatenlose schaffen, warnt die Sozialistin. In ihrem gerade erschienenen Buch findet Taubira harsche Worte: "Wie würde die Welt aussehen, wenn jedes Land seine unerwünschten Staatsbürger ausweist? Muss man sich eine Art Müllhalde vorstellen, auf der alle zusammenkommen?"

Hollande versuchte deshalb, Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Von der doppelten Staatsbürgerschaft soll in dem Entwurf, der morgen in der Nationalversammlung debattiert wird, nicht mehr die Rede sein. Zugleich verpflichtet sich die Regierung, keine Staatenlosen zu schaffen, was de facto doch wieder die Franzosen mit zwei Pässen zur Zielscheibe macht. Das sei "Flickschusterei", räumte selbst Sozialisten-Chef Jean-Christophe Cambadélis ein.

Doch nicht nur seine Partei ist uneins, auch die konservativen Republikaner streiten über den Text. Im Vorwahlkampf um die Präsidentschaftskandidatur versuchen die Konkurrenten ihrem Parteichef Nicolas Sarkozy eins auszuwischen, der vorschnell Zustimmung zu Hollandes Projekt signalisiert hatte. Von einem "Pakt von Versailles" zwischen den beiden Politikern war deshalb schon die Rede. Nächste Woche wird in der Nationalversammlung abgestimmt. Dann könnten sowohl Sarkozy als auch Hollande bei den Verlierern sein.

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