Es geht um den neuen, nicht den alten Ungeist

Berlin · Analyse Die Wehrmacht hat kaum noch Ausstrahlung auf heutige Soldaten. Die aktuelle Debatte lenkt von den wahren Fragen im Bundeswehr-Skandal ab.

Als der frühere chinesische Parteichef Mao Zedong seine Massenkampagne gegen die "vier Plagen" ausrief, eine davon gegen Spatzen, waren bald restlos alle Vögel in China tot. Ähnlich beflissen ist die Bundeswehr bei der intern ausgerufenen Suche nach Wehrmachtsdevotionalien vorgegangen. Vitrinen, Keller, Gerümpelecken und Aufenthaltsräume wurden durchforstet, kein Stahlhelm blieb verschont, kein Liederbuch ungeprüft. Ein Bild das späteren Bundeskanzlers Helmut Schmidts (SPD) in Wehrmachtsuniform wurde in einer Hamburger Kaserne entdeckt und abgehängt, beim Luftgeschwader Immelmann traf es die Erinnerung an den früheren Verteidigungsminister und Bundestagspräsidenten Kai Uwe von Hassel (CDU). So sieht deutsche Gründlichkeit aus.

Natürlich ist es richtig, dass die Verteidigungsministerin jetzt die letzten nach Wehrmachtsgrößen benannten Kasernen umbenennen lassen will. Doch das ist nicht neu. Schon Rudolf Scharping (SPD) begann damit vor fast 20 Jahren und ließ Kasernen nach Widerstandskämpfern taufen. Die verbliebenen Reste, etwa die Namen der Weltkriegs-Piloten Hans-Joachim Marseille oder Helmut Lent, hätte Ursula von der Leyen (CDU) längst erledigen können, ja müssen. Auch ist die geplante Neufassung des an sich schon sehr eindeutigen Traditionserlasses von 1982 eher eine Petitesse: Wenn in historischen Schauen Wehrmachtsgegenstände gezeigt werden, muss der Zusammenhang erklärt werden. Ja, was denn sonst?

Das alles ist ein Fall absichtlicher politischer Desorientierung. Es mag zwar ein paar Ewiggestrige geben, auch Neonazis, die in der Wehrmacht ihre Idole finden, aber wirkliche Ausstrahlung hat die Armee Hitlers auf die heutige Generation nicht mehr, auch nicht auf die übergroße Mehrheit der Soldaten. Zum Glück. Der von den Linken geforderte "radikale Bruch mit der Wehrmachtsvergangenheit" ist nicht notwendig, es gibt ihn längst. Im Übrigen müsste man dann radikal auch zahlreiche Kriegerdenkmäler in deutschen Dörfern schleifen. Heroische Darstellungen von Wehrmachtssoldaten gibt es da ohne Ende, dazu oft Zitate aus dem Vaterlandslied oder Sprüche wie "Treue um Treue". Soll das die nächste Massenkampagne werden? Viel Vergnügen.

Die Fokussierung auf falsche Traditionen ist simple Ablenkung. Es ist Ablenkung davon, dass die rechtsextremistischen Umtriebe des jungen Soldaten Franco A. und seiner Freunde von Vorgesetzten nicht ernst genommen wurden. Es ist Ablenkung davon, dass die internen Kommunikations- und Warnstrukturen nicht funktionierten. Und dass ganz locker 1000 Schuss Munition abgezweigt werden konnten. All das hat die Verteidigungsministerin politisch zu verantworten. Und in den Zuständigkeitsbereich des Innenministers fällt die absurde Tatsache, dass Franco A. in seinem Doppelleben ohne jegliche Arabisch- und Ortskenntnisse als syrischer Asylant durchging. Und dass solche Mängel im Asylverfahren offenbar kein Einzelfall sind. Das sind sehr einfache und sehr konkrete Vorfälle, die große Sorgen machen müssen. Neuer Ungeist ist das Thema, nicht der alte. Und deshalb hilft die Bilderstürmerei wenig.

Zum Thema:

Der Traditionserlass Der Traditionserlass von 1982 regelt die Traditionspflege in der Bundeswehr. Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann danach Tradition nicht begründen. NS-Symbole wie das Hakenkreuz sind verboten - außer sie dienen der politischen Bildung. Das Sammeln von Waffen, Modellen, Urkunden, Fahnen, Bildern, Orden und Ausrüstungsgegenständen ist Soldaten erlaubt - allerdings müssten Exponate in einen geschichtlichen Zusammenhang eingeordnet werden.

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