Der Kandidat

Meinung · Was die Berliner Spatzen seit Wochen von den Dächern pfiffen, hat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel gestern vor der Presse wiederholt: Ex-Finanzminister Peer Steinbrück wird Kanzlerkandidat der SPD. Mit dieser Entscheidung - die eigentlich keine ist - haben sich die Genossen des Problems der lästigen K-Frage entledigt. Eingehandelt haben sie sich dafür ein anderes Problem: Steinbrück

Was die Berliner Spatzen seit Wochen von den Dächern pfiffen, hat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel gestern vor der Presse wiederholt: Ex-Finanzminister Peer Steinbrück wird Kanzlerkandidat der SPD. Mit dieser Entscheidung - die eigentlich keine ist - haben sich die Genossen des Problems der lästigen K-Frage entledigt. Eingehandelt haben sie sich dafür ein anderes Problem: Steinbrück. Weil er mit seiner eigenen Partei fremdelt. Und sie mit ihm.Die Proklamation war weder eine Überraschung noch eine echte Entscheidung, denn der burschikose Hanseat war als Einziger von der "Troika" übrig geblieben. Zuvor hatten Gabriel und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier ihren persönlichen Verzicht erklärt. Das war klug von beiden, denn sie schleppen noch größere Handicaps mit sich herum als Kavallerie-Freund Steinbrück: Gabriel ist demoskopisch weit abgeschlagen, die Leute finden ihn zu wurstig und sprunghaft. Steinmeier gilt zwar als sympathisch und seriös, aber auch als Mann ohne Esprit. Bei der Wahl 2009 holte er mit 23 Prozent das schlechteste SPD-Ergebnis aller Zeiten.

Das Handicap des neuen Kandidaten ist ebenfalls seit langem bekannt: Er kocht gern sein eigenes Süppchen, wobei ihn das Geschmacksempfinden der Parteibasis nicht sonderlich interessiert. Steinbrück hat für linke Weltverbesserer und Sozialisten nur Spott übrig ("Heulsusen"), er sieht sich in der natürlichen Erbfolge seines Mentors Helmut Schmidt - der auch an seiner eigenen Partei gescheitert ist. Wenn Steinbrück dieses Schicksal vermeiden will, muss er Charaktereigenschaften wie Arroganz, Besserwisserei und Kompromisslosigkeit ablegen. Die Nagelprobe bietet sich schon bald beim strittigen Thema Renten-Niveau. Wenn der Kandidat und die Partei da nicht gemeinsam die Kurve kriegen, braucht er gegen Angela Merkel gar nicht erst anzutreten.

Aber auch so wird es schwerer mit der Aktion Kanzleramt, als mancher Träumer in der SPD glaubt. Die schwarz-gelbe Koalition mag ein erbarmungswürdiges Bild abgeben, die FDP mag mal wieder an der kritischen Linie entlangtaumeln. Doch abgerechnet wird am Schluss, und die Bürger wägen sehr genau ab, wer ihre Interessen am besten vertritt. Die gänzlich unsentimentale Merkel hat da einen dicken Stein im Brett, weil sie authentisch wirkt und auf internationaler Bühne keine schlechte Figur abgibt. Aber Kanzlermacher sind ohnehin andere: Liberale und Piraten. Wenn beide Parteien den Sprung ins Parlament schaffen, wird Steinbrück wegen der politischen Arithmetik wohl in die Röhre gucken müssen. Es sei denn, die FDP wagt das Abenteuer "Ampel". Was daran aber besser wäre als an einer großen Koalition, müsste der künftige Kanzler so lange erklären, bis er es selbst glaubt.

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