Fake News und Panikmache Ein Hysterie-Virus begleitet die Corona-Epidemie

Die Angst und Panik vor dem Coronavirus scheint sich in diesen Tagen schneller auszubreiten als der Erreger selbst. Dass in China, dem Ausgangspunkt der Erkrankung, ganze Millionen-Städte abgeriegelt werden, erzeugt zumindest ein mulmiges Gefühl.

Stefan Vetter

Stefan Vetter

Foto: SZ/Robby Lorenz

Genauso wie die Bilder über Menschen, die kollektiv Mund- und Nasenschutz tragen. Und wenn Staaten reihenweise ihre Flugverbindungen ins „Reich der Mitte“ kappen oder ihre Landsleute ausfliegen, dann nährt das ebenfalls die allgemeine Verunsicherung. Aber es geht noch sehr viel schriller: Die sogenannten sozialen Netzwerke sind voll mit Fake-Meldungen und Verschwörungstheorien. Dass das Virus vorsätzlich entwickelt wurde, dass es eine Biowaffe sei und dergleichen mehr. Die Weltgesundheitsorganisation warnte kürzlich sogar vor einer „massiven Infodemie“, weil viele Menschen angesichts der Informationsflut nur noch schwerlich zwischen Fakten und Falschem unterscheiden könnten. Aber wie dem beikommen, wenn sich Angst ins Absurde steigert?

Bei Epidemien wird emotional ganz offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen. 2018 starben weltweit 1,5 Millionen Menschen an Tuberkulose. 405 000 kostete die Malaria das Leben, 140 000 die Masern. Es ist nicht bekannt, dass die Welt darüber in Panik geraten wäre. Im Gegenteil. Siehe Deutschland. Hier musste zuletzt trotzdem um die Einführung einer Impfpflicht gegen Masern hart gerungen werden. Mehr als das Coronavirus, mit dem in Deutschland bislang zwölf Menschen infiziert, aber in guter Verfassung sind, sollte uns auch die „normale“ Grippe umtreiben. Nach jüngsten Angaben des Robert-Koch-Instituts sind in dieser Saison schon 42 Menschen daran gestorben. 4799 Infizierte wurden und werden stationär versorgt. Nur spielt das in der öffentlichen Wahrnehmung ebenfalls keine Rolle.

Der Grund ist offenbar ein Gewöhnungseffekt. Die Grippe kommt regelmäßig. Und sie geht auch wieder. Das Coronavirus dagegen ist neu und deshalb noch weitgehend unerforscht. Umso stärker gedeihen Gerüchte und Dramatisierungen bis hin zur Erweckung alter Ressentiments mit rassistischen Anklängen. Auch auf die klassischen Medien ist dieses Virus übergesprungen. Die Bild-Zeitung fragt allen Ernstes, ob man noch Glückskekse essen könne, und der Spiegel bringt das Coronavirus auf seinem aktuellen Cover mit dem Siegel „Made in China“ in Verbindung. Ob man sich so etwas dort auch getraut hätte, wenn der Erreger von einem europäischen Land ausgegangen wäre? Man denke nur an den Rinderwahnsinn BSE, mit dem einst Großbritannien für Angst und Schrecken gesorgt hat.

Zu hoffen bleibt, dass Experten zügig und verlässlich herausfinden, wie und warum sich das Coronavirus so schnell verbreiten kann und was sich dagegen wirksam tun lässt. Erst dann dürfte auch das Hysterie-Virus eingedämmt werden und die kollektive Erregung nachlassen – bis zur nächsten geheimnisum(t)witterten Krankheit.

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