Voll ins Schwarze

Saarbrücken · Das Bühnenbild wirkt zwar, als sei dem Staatstheater das Geld ausgegangen. Musikalisch regiert bei diesem „Freischütz“ aber der pure Luxus. Vor allem Elizabeth Wiles als „Agathe“ und Herdís Anna Jónasdóttir („Ännchen“) katapultieren das Saarbrücker Haus mit dieser Produktion in die Spitzenklasse.

 Angst fressen Romantik auf: Regisseur Patrick Schlösser hat den „Freischütz“ komplett entkernt, ihm die Romantik ausgetrieben. Bloß „Angst“ und „Liebe“ überleben noch als große Triebkräfte, die auch Jägerbursche Max (Algirdas Drevinskas) im Bann halten. Das Bühnenbild ist fast schon knauserig, wirkt aber gerade durch seine schlichten Aussagen. Fotos: Björn Hickmann

Angst fressen Romantik auf: Regisseur Patrick Schlösser hat den „Freischütz“ komplett entkernt, ihm die Romantik ausgetrieben. Bloß „Angst“ und „Liebe“ überleben noch als große Triebkräfte, die auch Jägerbursche Max (Algirdas Drevinskas) im Bann halten. Das Bühnenbild ist fast schon knauserig, wirkt aber gerade durch seine schlichten Aussagen. Fotos: Björn Hickmann

Sind wir nicht alle ein bisschen Max? Mancher würde sich wohl, Hand aufs Herz, auch mal auf so einen fragwürdigen Handel einlassen. Falls er dafür bekommt, was er begehrt: die Angebete etwa, Geld, Macht oder auch nur die Lösungen für die nächste, alles entscheidende Klausur. Bloß, dass wir uns heutzutage an die Teufel der Jetztzeit verkaufen - Erfolgsgier, Hartherzigkeit und Egomanie. Jägerbursche Max hingegen lässt sich noch mit dem original Leibhaftigen ein, der auf der Saarbrücker Bühne auf goldenem Pferdefuß zur bösen Tat hinkt. Aber fein in Businesszwirn. Was nicht heißen soll, dass in jedem Geschäftsführer gleich ein Beelzebub steckt. Doch weiß man's?

Im "Freischütz" des Staatstheaters haben sich "Samiel" & Konsorten auf jeden Fall arbeitsteilig organisiert: In diabolischer Mehrzahl kommt der Satan gleich siebenfach daher. Der Teufel steckt halt in jedem Detail. Unfassbar, und doch gut, Regisseur Patrick Schlösser hat den "Freischütz", die deutsche romantische Oper überhaupt und somit eine Art Nationalheiligtum, komplett entkernt, den romantischen Wald abgeholzt. Bei ihm walten nur noch zwei Kräfte: die Angst und die Liebe. Erstere wird einem per Großbuchstaben fast den gesamten Abend über optisch eingebimst. Viel mehr Kulisse gibt's auch nicht. Adieu "german romanticism", dank Neuschwanstein und Caspar David Friedrich, ein weltweiter Verkaufsschlager. Patrick Schlösser hat die Romantik durch "german angst" ersetzt. Auch die international schon ein Begriff. Dafür, dass wir Deutschen in allem erstmal Gefahr wittern, ob bei der Vogelgrippe oder bei TTIP. Völlig zurecht natürlich!

Angst ist ohne Frage auch in Webers, 1821 uraufgeführtem Meisterwerk, eine Triebfeder der zentralen Figuren. Max etwa fürchtet, dass er beim Probeschuss vor den Augen Fürst Ottokars (souverän: Stefan Röttig) fehlen wird und dann weder Agathe noch die Erbförsterei bekommt. Darum lässt er sich ja auf das Angebot Kaspars ein, mit des Teufels Hilfe treffsichere Freikugeln zu gießen. Agathe sieht ohnehin ständig Menetekel, selbst, wenn ihr nur das Porträt des Ahnherrn auf den Kopf plumpst. Ein Haufen Angsthasen. Immerhin, Schlösser setzt noch die Liebe als zweite Macht dagegen. Um die allerdings in seiner Inszenierung aufzuspüren, muss man schon genau hinschauen (kleiner Tipp, zum Schluss mal die spiegelnde Decke der Bühne im Blick halten).

Tatsächlich lässt sich der "Freischütz" auch so reduziert überzeugend erzählen. Trotz der Klarheit dieses Gedankens aber erschöpft sich die Idee über drei Akte gestreckt. Zumal Schlösser - in Personalunion auch Bühnenbildner - so spartanisch zu Werke ging, dass es gute Chancen auf den Lorbeer für die billigste Kulisse der Saison hat. Dennoch: Hier hat ein Regisseur eine Idee, und es ist gut, dass er sich ihr konsequent verschreibt. Und Schlössers Knausern empfindet man zudem als wohltuend, weil in der Musik der pure Luxus regiert.

Was Dirigent Christopher Ward da mit dem Staatsorchester erschaffen hat - Jaume Miranda hat den einmal mehr exzellenten Opernchor kongenial einstudiert -, ist umwerfend. Aus dem Orchesterabgrund tönt es schon in der Ouvertüre (und später in der "Wolfsschlucht") so dunkel mystisch, dass man schon Richard Wagner mithört. Feinste dynamische Schattierungen, voll ausgekostete Synkopenspannung, kraftvolle Hörner, nobel sich auffächernde Streicher - es fehlt nichts. Wo die Bühne üblicher Bilderfülle entsagt, malt Ward in umso betörenderen Farben.

Aber auch die Sänger sind Teil dieses musikalischen Traums. Unerreicht: Elisabeth Wiles als Agathe. Wie sich ihr die Angst in die Seele frisst, steigert Wiles Ton für Ton zu immenser Dramatik, gar zu irritierender Schärfe im Klang. Ein Meisterstück. Und wie keck hält Herdís Anna Jónasdóttir (Ännchen) dagegen, vertreibt mit federleichtem Sopran und Witz all' die Dämonen wieder. Zusammen sind beide, glänzend vom Staatsorchester begleitet, einfach grandios. Diesen zweiten Akt bekäme man auch in München oder Berlin nicht besser hin.

 Eine Klasse für sich: Elizabeth Wiles als Agathe (r.) und Herdís Anna Jónasdóttir.

Eine Klasse für sich: Elizabeth Wiles als Agathe (r.) und Herdís Anna Jónasdóttir.

Dagegen stehen die Herren ein wenig zurück. Gleichwohl auch hier Markus Jaursch (Kaspar) Christoph Stephinger (Kuno) mit volltönendem Bass Akzente setzen. Die schönste Überraschung vielleicht: Algirdas Drevinskas, lange schon in Staatstheaterdiensten und oft eher ein Mann für die kleineren, aber nicht minder wichtigen Partien, kann als Tenor trotz stimmlicher Limitierungen hier mal auftrumpfen. Mit Charaktertiefe und Wahrhaftigkeit nämlich: Wie es Max vor Furcht fast die Kehle zuschnürt, das macht Drevinskas hörbar, aber auch das innige Sehnen nach seiner Agathe. Da hatte man im Theater auch bei der Besetzung ein goldenes Händchen. Weitere Aufführungen: 23. November, 1., 8., 11., 16., 21. und 30. Dezember. Karten unter Tel. (06 81) 309 24 86.

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