Der Meister(-Schüler), der Schüler sucht

Neunkirchen · Er hat das Neunkircher Eisenwerk und die Völklinger Hütte in bestechenden Fotografien festgehalten. Nun, mit 85 Jahren, will Franz Mörscher, der sich einen „Bildner“ nennt, seinen Erfahrungsschatz in Privatkursen weitergeben. Besuch bei einem Heimgekehrten.

Jemand, der von sich sagt, dass er Bilder schaffen wolle, "die man neben Cézanne hängen kann", ist nicht das, was man einen leichten Gesprächspartner nennen würde. Es klingt gewaltig nach Größe. Franz Mörscher sagte diesen Satz vor 16 Jahren in einem Gespräch mit Meinrad Grewenig im Völklinger Weltkulturerbe, wo damals Fotografien von ihm ausgestellt waren, die in kaum fassbarer technischer Präzision das dortige Hüttenensemble zeigten. Der Satz könnte aber auch heute noch fallen.

Als Mörscher einen an einem grauen Herbsttag in Neunkirchen vor dem Haus in Empfang nimmt, in dem er mit seiner Frau vor Monaten eine Wohnung bezogen hat, fragt man sich, was es mit dem "Punkt Alpha" auf sich hat, von dem der 85-Jährige am Telefon erzählt hatte. In einem unveröffentlichten Buchmanuskript, das Mörscher zugeschickt hatte, war man auf diesen Punkt gestoßen, der in seiner Kunstphilosophie eine Art Etappenziel des geneigten Kunstsinnigen auf dem Weg zur Kunst markiert: "Von dort aus weiter geht es über das kleine Einmaleins und das Algebra des bildnerischen Schaffens zu einem eigenen objektivierten Wissen und Können", schreibt Mörscher. War der Besucher ausreichend gewappnet für diesen Nachmittag ?

Franz Mörscher, der sich einen "Bildner" nennt, ist über die Landesgrenzen hinaus bekannt geworden als Industriefotograf. Weniger als Maler und Bildhauer, der er auch ist. Und Perfektionist. Die physikalischen, technischen und ästhetischen Gesetze der Fotografie - Form, Farbe, Belichtung, Helligkeit betreffend - hat er verinnerlicht. Wenn er darauf zu sprechen kommt, fühlt man sich schnell wie in einer Vorlesung, die einer komplexen Kreuzung aus Mathematik und Musik gleicht. Schlecht für den, der von beidem zu wenig versteht. Wobei man sich mit Mörscher damit trösten könnte, dass "das Kulturland Germania nach wie vor herausragende Köpfe hat". Zu denen er gehört?

1998 zog Mörscher von Neunkirchen ins bayerische Oberland. Leute, die seine famosen Fotografien kannten, ließen ihn damals ungern ziehen. Seit er in den 80ern im Auftrag des Kultusministeriums über drei Jahre hinweg den Abriss des Neunkircher Eisenwerks fotografisch festgehalten hatte, eilte ihm der Ruf voraus, ein maßgebender, exquisiter Industriefotograf zu sein. "Ich habe damals die Bilder in mir gesucht", sagt er heute. Und dabei stets gegengerechnet, "dass jedes Kameraobjektiv seine eigene Wirklichkeitscharakteristik" hat.

Kaum mehr als 1000 Negative, die für ihn Bestand hatten, waren in den gut 1000 Tagen, in denen ihn seine Frau Tag für Tag begleitet hatte, entstanden. Negative, die er nach allen Regeln der Dunkelkammerkunst im Stile eines Dirigenten, der ein Farb- und Helligkeitsorchester führt, entwickelte. Kompromisslos, sagt er. Ein Wort, das wieder fällt, als er von seiner Zeit an der Saarbrücker Werkkunstschule erzählt, wo Mörscher Meisterschüler Boris Kleints war. "Ich habe seit 1956 keine Kompromisse mehr gemacht", resümiert er. Wohl dem, der das von sich sagen kann.

Umso erstaunlicher ist, dass der 85-Jährige, dessen Vitalität bemerkenswert ist, nun private Kunstkurse anbieten möchte. Ehe er Neunkirchen verließ, hatte er dort eine "Private Schule für bildnerische Techniken und Gestaltung" betrieben, die mit VHS-Kursen nichts gemein hatte. Eine Handvoll Kunstsinnige würde Mörscher gerne heranbilden wollen. Auf dass sie im aristotelischen Sinne "handelnd sich gestalten". Wer in seine Lehre gehen wolle, sei willkommen, sagt der Meister.

Beim Gehen fällt einem im Arbeitszimmer Mörschers Robert Doisneaus berühmte, bekanntermaßen inszenierte Fotografie aus den 50ern auf: Sein "Kuss vor dem Rathaus" ging um die Welt und hängt noch heute in WG-Fluren. Mörscher erzählt, dass er der Küssende auf dem Foto sei. Wie? Eigentlich dachte man Medienberichten zufolge, der possenhafte Fall um die Urheberschaft der Kuss-Darsteller, der in Paris vor Jahren Gerichte beschäftigte, sei geklärt. Bis man sich von ihm nun eines Besseren belehren lassen muss. Aber wie heißt es in Mörschers Manuskript an einer Stelle, die eine "Gemeinschaft von ähnlicher Anschauung in gegenseitiger Verbundenheit" beschreibt?: "Gemeint sind hierin und hiermit einzig wenige Hochbegabte in den sieben Künsten und anderen Berufen." Er war wohl auch ein hochbegabter Küsser.

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