Literatur Bartforscher und Selbstmörder auf Pilgerreise

Saarbrücken · Marion Poschmanns „Die Kieferninseln“ schickt einen deutschen Bartforscher und einen lebensmüden jungen Japaner auf eine Pilgerreise in den untouristischen Norden Japans. Heute liest sie in St. Ingbert aus ihrem Roman, der für den Deutschen Buchpreis nominiert war.

 Die inneren Widersprüche Japans sind das eigentliche Thema von Marion Poschmanns neuem, nicht durchweg gelungenem Roman.

Die inneren Widersprüche Japans sind das eigentliche Thema von Marion Poschmanns neuem, nicht durchweg gelungenem Roman.

Foto: Heike Steiweg

Die Kritiken waren überschwänglich – vielleicht nicht ganz zurecht. Kann es sein, dass man dem kuriosen, einige Komik erzeugenden Plot allzu bereitwillig erlag und darüber gewisse Schwächen dieses Romans schnell außer Acht ließ? So ganz kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Marion Poschmanns „Die Kieferninseln“ bei der Kritik einen Exotismus-Bonus hatte.

Poschmann schickt ihren Helden, einen eigenwilligen, Demütigungen anziehenden Privatdozenten und Ästhetizisten namens Gilbert Silvester mit Spezialgebiet Bartforschung nach Japan. Weil er nachts träumte, von seiner Frau betrogen zu werden, begibt er sich zum Flughafen und steigt in die erstbeste Maschine. Der Zufall will, dass sie nach Tokio geht, wo er ebenso ungeplant auf einen lebensmüden jungen Japaner trifft, mit dem er sich zusammen nach Honshu aufmacht, in den Norden Japans. Während Silvester die Reisenotizen des japanischen Haiku-Dichters Basho im Gepäck hat, auf dessen Mönchswegen er wandeln und so wieder zu sich selbst kommen will, reist der vor lauter Prüfungsangst keinen Ausweg mehr sehende Petrochemie-Student Yosa unter Anleitung eines Selbstmord-Ratgeberbuchs („The complete manual of suicide“). Weil Bashos einstige Pilgerroute wie auf einer Perlenkette aufgereiht zugleich auch einige der berühmtesten Selbstmörder-Schauplätze bereithält, sind beide gewissermaßen auf Leben und Tod verbunden.

Die bizarre Romankonstellation erweist sich zwar als nicht unergiebig und setzt naturgemäß auch einige Situationskomik frei (ein Glanzstück ist vor allem die Beschreibung eines Selbstmörderwaldes, in den das ungleiche Paar eines Nachts gerät), reitet sich aber mit der Zeit schnell tot. Zu sehr belässt es Poschmann bei einer literarischen Versuchsanordnung nach dem Prinzip einer Stationenreise, bei der Yaso die Rolle des einsilbigen „Jammerlappens“ mit angeklebtem Bart übernimmt und Silvester den klassischen Part des Westeuropäers auf Suche nach der erhabenen, schwer fassbaren ostasiatischen Tiefe. Die Qualitäten von Poschmanns Roman, der auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand, liegen denn auch weniger im Ausmalen ihres unterm Strich etwas banalen, wenngleich kathartisch überhöhten Plots. Was „Die Kieferninseln“ auszeichnet, ist vielmehr die abseits dieser Handlungsebene aufscheinende Annäherung an eine uns äußerst fremde Lebenskultur, die von markanten Gegensätzen geprägt scheint. Japans zwanghafte Schönheit etwa oder das kollektive Nebeneinander von manischem Funktionieren und alltäglicher Kontemplation oder die von Ritualen umflorte japanische Perfektion der Kunst der Andeutung. Im Ausloten dieser inneren Widersprüche entfaltet die Autorin, die sich 2014 vor mehrere Monate in Kyoto aufhielt, dann auch stilistisch ihr bemerkenswertes Talent.

Unglücklicherweise schmälert die allzu durchsichtige Romankonstruktion, dem nachsinnenden Helden diese lesenswerten Erkundungen der japanischen Seele in Form von Briefen an seine deutsche Frau in den Mund zu legen, immer wieder die Aura, die Poschmanns schwebender Ton verströmt. Dass Gilbert und Yosa sich unterwegs zu den Kieferinseln in Matsushima im Bahnhofsgetümmel verlieren, ist für den Roman ein Glücksfall, weil er zum Ende hin dann jene innere Konzentriertheit findet, die er zuvor in statuarischem Figurengeplänkel immer wieder eingebüßt hat. Zuletzt wird sein betulicher Held dank japanischer Mimikry zu sich finden.

Marion Poschmann: Die Kieferninseln. Suhrkamp Verlag, 164 Seiten, 20 Euro. Die Autorin liest heute aus ihrem Roman um 19.30 Uhr in der St. Ingberter Stadtbücherei.

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