Neu im Kino Die Grausamkeit muss fühlbar werden

Saarbrücken · Jürgen Vogel über seine Darstellung des jungsteinzeitlichen Jägers Ötzi im Kinofilm „Der Mann aus dem Eis“.

 Jürgen Vogel als Ötzi, der vor etwa 5300 Jahren lebte. 1991 war die dann berühmt gewordene Gletschermumie in den Ötztaler Alpen in Südtirol gefunden worden - nach dem Fundort wurde der jungsteinzeitliche Jäger dann „Ötzi“ getauft.

Jürgen Vogel als Ötzi, der vor etwa 5300 Jahren lebte. 1991 war die dann berühmt gewordene Gletschermumie in den Ötztaler Alpen in Südtirol gefunden worden - nach dem Fundort wurde der jungsteinzeitliche Jäger dann „Ötzi“ getauft.

Foto: dpa/Martin Rattini

Selbst für einen altgedienten Charakterschauspieler wie Jürgen Vogel dürfte es eine völlig neue Erfahrung gewesen sein: Im historischen Rache-Drama „Der Mann aus dem Eis“ schlüpft der 49-Jährige in Fellkostüme, um die letzten Tage im Leben jenes jungsteinzeitlichen Jägers zu rekonstruieren, dessen gut erhaltene Mumie 5300 Jahre später in Südtirol gefunden und „Ötzi“ getauft werden wird. Ein Gespräch über den Film, spirituelle Seiten und das Prinzip Rache.

Über die Lebensumstände von Ötzis Zeitgenossen ist wenig bekannt. Wie konnten Sie sich ein Bild von dieser Welt schaffen?

VOGEL Man weiß, dass Ötzi ein guter Jäger war und wie er zu Tode gekommen ist. Man weiß, mit welchen Utensilien er gearbeitet hat und wie seine Klamotten ausgesehen haben. Er hatte sogar Nähzeug dabei, um sie notfalls flicken zu können. Ötzi gehörte einer Jägerkultur an, die auch Fallen gebaut hat. Außerdem hatte der Mann fast 70 Tätowierungen, teilweise auch auf dem Rücken. Wir reden hier von einer Zeit vor 5300 Jahren. Er hatte die Tätowierungen sicher nicht nur, um schön auszusehen. Man vermutet, dass dabei ein gewisser Glaube oder bestimmte Riten eine Rolle gespielt haben. Das hat uns die Möglichkeit gegeben, auch in dieser Richtung zu erzählen. Bestimmte Parameter waren also klar. Es war eine relativ hochentwickelte Kultur. Und wir haben uns, darauf aufbauend, eine Geschichte ausgedacht, wie es hätte sein können.

Es gibt kritische Stimmen, die z.B. das Heiligtum des Filmes für viel zu fein gearbeitet halten. Warum darf Tarantino in „Inglourious Basterds“ Hitler und Konsorten töten und alle finden es gut, während man bei deutschen Produktionen jede Kleinigkeit auf die Goldwaage legt?

VOGEL Wahrscheinlich waren diese Kritiker nicht im Museum von Bozen. Wenn man dort sieht, wie die Pfeilspitzen gearbeitet waren, die man bei Ötzi gefunden hat, dann sind die viel filigraner als unser Kasten. Sie sind aus Stein und messerscharf. Man hat auch sein Messer gefunden und eine Beilklinge aus Kupfer. Auch die Nähte der Kleidung sind sehr beeindruckend. Das waren nicht irgendwelche Höhlenmenschen.

Das Prinzip Rache ist nach wie vor fest im Kleinhirn des Menschen verankert. Manche Staaten praktizieren es in Form der Todesstrafe. Wie stehen Sie dazu?

VOGEL Ich bin nicht für die Todesstrafe. Aber Rache ist in unserem Film ein großes Motiv. Als Emotion finde ich sie nachvollziehbar. Aber vom gesellschaftlichen Standpunkt aus bin ich natürlich dagegen. Eine Gesellschaft darf nicht so handeln. Sie hat ja auch eine Vorbildfunktion. Wir ziehen unsere Kinder damit groß, dass es Unrecht ist, andere Menschen zu töten. Dann darf sich ein Staat diese Freiheit erst recht nicht herausnehmen.

Ist eine Botschaft des Filmes, dass der Glaube Menschen ins Verderben führen kann?

VOGEL Das würde ich so nicht sagen. Man sollte nicht im Namen des Glaubens töten. Der Glaube an sich ist nicht daran schuld. Töten kann nie zum Ziel führen. Der Glaube bietet einer Gesellschaft Zusammenhalte. Vor allem in den ärmsten, krisengeschüttelten Regionen ist Glaube ein sicherer Halt für viele.

Haben Sie eine spirituelle Seite?

VOGEL Ich glaube, dass jeder irgendwo die Hoffnung auf Erlösung in sich trägt. Dass es etwas gibt, das über dem steht, was man mit den Händen greifen kann. Es existiert eine große Sehnsucht danach. Ich bin kein Kirchgänger, aber ich glaube, dass es eine positive Kraft gibt. Man merkt, dass man Gutes zurückbekommt, wenn man etwas Gutes macht. Und Schlechtes, wenn man Schlechtes tut. Aber natürlich kriegt man auch mal grundlos auf den Deckel.

Gibt es Momente, in denen man die Kameras und die Crew ausblenden kann und denkt: So war es also!

VOGEL Es muss Momente geben, in denen du das ganze Drumherum vergisst und versuchst, etwas herzustellen, was damals hätte passieren können. Dabei hilft es, wenn du tatsächlich frierst, wirklich wandern musst, du angestrengt und fertig bist. Man kann nicht nur so tun als ob, man muss physisch wirklich arbeiten. Wir haben nicht in einer Garage vor einem Greenscreen gestanden und der Rest wird digital hinzugefügt. Man stand wirklich auf den Bergen, 2700 Meter hoch, und wackelte über den Kamm.

Die Gewaltdarstellung in Felix Randaus Film ist dem Thema entsprechend sehr roh. Verharmlost im Gegensatz dazu nicht gerade das „saubere“ und schnelle Töten im aktuellen Kino die Gewalt?

VOGEL Ich finde es besser, wenn ein Prozess der Grausamkeit fühlbar wird, wenn man ihn schon darstellt. Aber es gibt heute teilweise ein comicartiges Sterben im Film. Wenn man sich vom Realismus entfernt, wird es plakativ. Vielleicht kann man dann die FSK besser bescheißen, ich weiß nicht. Ich finde, dass die Gewalt, die wir zeigen, der Brutalität dieser Zeit und der Natur angepasst ist. Dem Wesen des Menschen eben.

„Der Mann aus dem Eis“ läuft ab dem 30. November im Cinestar (SB). Kritik zu diesem und den übrigen neu anlaufenden Filmen morgen in unsererer Beilage „treff.region“.

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