Das Genie am Fließband

Saarbrücken. Der Chor kreischt, die E-Gitarre klirrt, die Trompete scheint sich zu überschlagen - bei Ennio Morricone passt das alles zusammen und genau zum knallbunten Italowestern "Zwei glorreiche Halunken" von 1966

 Ennio, der Ernsthafte. Heute wird Herr Morricone 80. Foto: Sony

Ennio, der Ernsthafte. Heute wird Herr Morricone 80. Foto: Sony

Saarbrücken. Der Chor kreischt, die E-Gitarre klirrt, die Trompete scheint sich zu überschlagen - bei Ennio Morricone passt das alles zusammen und genau zum knallbunten Italowestern "Zwei glorreiche Halunken" von 1966. Gerade mal vier Noten und ein aggressives Schlagzeug reichen dem Römer, um im Drama "Die Schlacht von Algier", ebenfalls von 1966, die Atmosphäre eines gefolterten Landes auszudrücken.

Bei der Wahl seiner Mittel kennt Morricone keine Scheuklappen. Das mag daran liegen, dass er sich am Anfang seiner Laufbahn als Neutöner sieht, 1958 die "Internationalen Ferienkurse für Neue Musik" besucht und danach daran scheitert, mit seiner Kunst die Familie zu ernähren. Fortan schreibt er parallel für sich allein und fürs Kino, als "Komponist, der auf zwei Säulen steht", wie er es sagt.

Den Weltruhm begründen seine Arbeiten für den ehemaligen Klassenkameraden Sergio Leone. Ohne Morricones Musik, ohne die Mundharmonika, die ihr Leben aushaucht, wäre Leones "Spiel mir das Lied vom Tod" (1968) ein weniger legendärer Film geworden. Seitdem ist Morricone einer der meistbeschäftigten Filmkomponisten, der manchen Kino-Durchschnitt musikalisch adelt. Das Wort Fließband darf einem bei ihm durchaus in den Sinn kommen: Um die 500 Arbeiten hat er komponiert, nicht immer gute Filme, nicht immer inspirierte Kompositionen. Doch die meisten Partituren haben ihre Filme längst überdauert. Ob er nun für einen Prestige-Film oder eine kleine Film-Klamotte zu Füller und Notenpapier in seiner Wohnung am Fuße des Kapitols in Rom greift - Morricone trennt nicht zwischen E- und U-Musik, nicht zwischen A- und B-Film, er mischt Zeitgenössisches mit Zitaten aus Klassik und Pop. Dieser offene Arbeitsansatz hat ein immens buntes, stilistisch vielfältiges Gesamtwerk entstehen lassen. Nie wirkte Paris bedrohlicher als in "Angst über der Stadt" (1975), wo er die Metropole mit nervösem Rhythmus und Dissonanzen zum grauen Moloch machte; nie starb Sean Connery tragischer als in "Die Unbestechlichen" (1987), über den Jordan geleitet von Morricones gerne eingesetzten Oboen.

Dass er wenig in Hollywood arbeitete, überrascht nicht: Morricone wollte sich dort nie niederlassen und hätte ohnehin Schwierigkeiten in einem hierarchischen Studiosystem gehabt. "Ich mag keine Regisseure, die mir Vorschriften machen", hat er einmal gesagt: "Die entlasse ich sofort". Immerhin - zu einem lächerlich späten Ehren-Oscar konnte sich Hollywood 2007 durchringen. Den nahm Morricone mit etwas gedrosselter Rührung entgegen. Er ist eben generell zurückhaltend - nur nicht in seiner Musik.

Zu Morricones Geburtstag ist eine Edition (Anbieter: Ice-storm) mit Buch, DVD von einem Venedigkonzert 2007 und einer Doppel-CD erschienen.

 "Der Clan der Sizilianer" (1969) mit den Herren Delon, Gabin und Ventura (v.l.) - heute 22.50 Uhr im MDR. Foto: MDR

"Der Clan der Sizilianer" (1969) mit den Herren Delon, Gabin und Ventura (v.l.) - heute 22.50 Uhr im MDR. Foto: MDR

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